Essen. 33 Jahre Hip-Hop-Evolution im Schnelldurchlauf: „Die Fantastischen Vier“ legten im Stadion Essen den Nucleus des deutschen Sprechgesangs frei.

Ein gutes Hip-Hop-Intro ist bekanntlich die halbe Miete. „Nun, da sich der Vorhang der Nacht von der Bühne hebt, kann das Spiel beginnen, das uns vom Drama einer Kultur berichtet“, klingt es vor dem ersten Gang eines schmackhaften Konzert-Menüs im mit 16.000 Fans gut gefüllten Stadion Essen aus den Boxen. „Hallo Essen, hallo Ruhrpott!“

Dieser Bodensatz der Bodenständigkeit bringt am Sonntagabend einen riesigen roten Vorhang zu Fall, auf dem bullige Porträts des wortgewaltigen Vierers aufgedruckt sind. Mit freundlichen Grüßen kennen sich die Fantastischen Vier eben aus.

Einen Hang zur Selbstdarstellung kann man Michael „Michi“ Beck, Thomas „Thomas D“ Dürr, Andreas „And.Ypsilon“ Rieke und Michael „Smudo“ Schmidt trotzdem nicht vorwerfen. Eine feine Note Ironie tragen die Schwaben durch die knapp zwei Konzertstunden, bei denen immer noch der Rhythmus der Rückkehr vernehmbar ist.

Fanta 4 im Stadion Essen: Der Vorhang fällt mit Selbstironie

Schließlich sollten die Fantas eigentlich schon 2020 drei Jahrzehnte der durch sie stark geprägten deutschen Hip-Hop-Evolution sezieren. Doch die Pandemie zog bekanntlich den Stecker und machte alle sprachlos. Das Motto der heute Mitte-Fünfziger bleibt aber: „Für immer 30 Jahre!“ Und ja, durch die Verzögerung ist es sogar schon der 33. Band-Geburtstag.

Dass nun die Protagonisten im Innenraum an der Hafenstraße ihre Füße kaum stillhalten können und trotzdem so gar nichts mit dem Fußball von Rot-Weiss Essen zu tun haben - geschenkt! „Gebt uns ruhig die Schuld“ singen die Fantas, um „Den Rest könnt ihr behalten“ hinzuzufügen.

Geizig sind sie nicht. Nach eigenem Bekunden aber „Zu geil für diese Welt“. Der Song wird aus dem dritten Studioalbum „Die 4. Dimension“ auf die Bühne gebeamt. 33 Jahre wirken plötzlich wie ein Schnelldurchlauf. Knapp 30 Songs schaffen die Hip-Hop-Veteranen spielend.

Und heimelig wird es zwischendurch auch noch. Der Stuttgarter Michi Beck verrät, dass seine Mutter aus Essen stammt. „Ich habe etwas gelernt. Wellness heißt im Ruhrpott: Stadion!“ Und Thomas D formt gleich noch das „Ruhrpott Massive“.

Fanta 4 im Stadion Essen: Von „Sie ist weg“ bis „Was geht“

„Troy“, „Populär“, „Sie ist weg“, „Der Picknicker“, „Was geht“ - einige Fans der Stunde Null fühlen sich zurück ins Jugendzimmer verfrachtet. Als Risse auf dem verflixt dünnen Papier der Bravo-Poster mit Tesa-Film geflickt wurden. Und bei den Hip-Hoppern manche Haarmatte länger, manche Kopfbedeckung zipfelmützenartiger und einzelne Brillengläser dicker und bunter umrandet waren.

Dass sie sich ihren Urknall-Hit „Die da!?!“ für die Schlussphase aufheben, ist keine Überraschung. 1992 holten die damaligen Jung-Rapper den deutschen Sprechgesang aus den Hinterzimmern. Obwohl der Hit durchaus als Wegbereiter für lukrative Karrieren heutiger Rap-Größen gilt, war die Hip-Hop-Szene damals von so viel guter Laune alles andere als begeistert.

Wahrscheinlich auch, weil die Werbewirtschaft kurz nach dem Chart-Aufstieg schnell schaltete, und den Hit der Fantas in einem TV-Spot für vitaminreichen Orangensaft verhohnepiepelte.

Fanta 4 im Stadion Essen: Etwas älter sind sie, aber nicht leiser

Smudo und Co. müssen sich mittlerweile aber wie „Captain Fantastic“ fühlen, um die Klammer zum Hier und Jetzt zu setzen. Das gleichnamige Album ist auch schon vier Jahre her. Älter sind sie geworden, aber nicht leiser.

Zum Glück kommen sie in Essen nicht nur auf ein Wort vorbei, sondern bringen eine komplette Band mit Bläsern, Schlagzeug und Gitarren mit. Dass mit Reggae-Reimer Gentleman („Dem Gone“) ein passender Sparringspartner im Vorprogramm singt, passt zum Nostalgie-Abend. Mütter tanzen vorne längst mit ihren Töchtern. Väter bringen die Söhne in Wortspiel-Laune. Und am Ende singen sich alle noch gemeinsam mit dem Song „Zusammen“ langsam in den Feierabend.

Der endgültige Schlussakkord wird aber wieder gesprochen: „Krass, dass wir alten Säcke hier an einem Sonntagabend noch so abgehen können!“ Gut gesagt.