Essen. Kinderschutzbund und Jugendamt haben eine zentrale Stelle etabliert, die Beratung bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche bietet.

Über die Hälfte aller im vergangenen Jahr bekannt gewordenen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung in Essen richtete sich gegen Kinder und Jugendliche. Wegen des Verdachts des Missbrauchs von Minderjährigen oder der Verbreitung, des Erwerbs, Besitzes und der Herstellung kinder- oder jugendpornografischer Schriften ermittelte die örtliche Polizei in 563 Fällen. 300 letztlich dann auch verfolgte Straftaten bedeuteten eine Verdoppelung binnen eines Jahres.

Das sind nur einige wenige Schlaglichter auf ein riesiges kriminelles Dunkelfeld und eine besonders perfide Form der Gewalt gegen die Jüngsten und Wehrlosesten, „die allen die größte Angst macht“, sagt Heike Pöppinghaus vom Essener Kinderschutzbund.

Helfern und Beratern Sicherheit im Umgang mit diesem verstörenden Phänomen geben, als auch Opfern wie deren Familien helfen will eine neue Beratungsstelle bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, die die Träger städtisches Jugendamt und Kinderschutzbund am Mittwoch vorstellten.

Eine Reaktion auf die dramatisch gestiegenen Fallzahlen

Ein zentraler Standort als Anlaufstelle ist noch nicht gefunden, doch die Ziele sind klar gesteckt, nachdem der Rat der Stadt im vergangenen Jahr grünes Licht für die gemeinsame Anlaufstelle gegeben hat. „Wir reagieren mit dem Angebot auf den dramatischen Anstieg der Fallzahlen“, sagt Ulrich Spie, Vorstandsvorsitzender des DKSB-Ortsverbandes. Die legten nicht nur in Essen merklich zu.

Landesweit haben sich die bekannt gewordene Delikte der Kinderpornografie binnen eines Jahres mehr als verdoppelt. Aufgedeckte Missbrauchstaten stiegen um fast 20 Prozent an - natürlich auch, weil die Ermittler wie etwa von der Besonderen Aufbauorganisation (BAO) „Herkules“ bei der Essener Polizei genauer hinschauen können und genau das auch tun.

Doch es gibt zum Schutz der Jüngsten mehr zu tun, als allein die Strafverfolgung voranzutreiben. „Der wichtigste Schritt ist die Sensibilisierung der Menschen“, betont Jugendamtschef Carsten Bluhm: „Keiner darf wegschauen, keiner soll sich schämen, genauer nachzudenken oder nachzufragen.“

Der Bedarf an professioneller Hilfe ist hoch

Das Land NRW habe durch die dauerhafte Förderung der Fachberatungsstelle eine erkannte Lücke geschlossen, nachdem die Fälle von Münster, Lügde, Bergisch Gladbach oder zuletzt auch Köln alle Alarmglocken haben schrillen und Erkenntnis reifen lassen: Diese spezielle Form der Gewalt benötigt spezialisierte Angebote. Essen sei eine der ersten Städte, die eine dauerhafte finanzielle Förderung für diese Arbeit bekommen und selbst einen Eigenanteil leisten.

Wie hoch der Bedarf an professioneller Unterstützung und Hilfe ist, können die Beteiligten schon mehr als nur erahnen. Seitdem die erste Beraterin im Dezember ihre Arbeit aufgenommen hat, summieren sich die Fälle auf mittlerweile rund 100. Es gab Anfragen aus Behörden, vor allem aus Kindergärten und Schulen, aber auch von Opfern und deren Familien.

Zu den Übergriffen kommt es in den meisten Fällen im nächsten Umfeld der Opfer. Steht dann plötzlich die Polizei auf der Matte und stellt Datenträger eines Familienvaters und Ehemanns sicher, brechen mit einem Mal ganze Lebenswelten unter diesem schwerwiegenden Verdacht zusammen. „Im digitalen Raum sind es aber vor allem Fremdtäter, die sexuellen Kontakt zu Minderjährigen suchen“, weiß Petra Kogelheide, Leiterin des Jugendpsychologischen Instituts (JPI) der Stadt Essen, das neben vielen Netzwerkpartnern von Polizei, Rechtsmedizin oder Kinderschutzambulanz ebenfalls im Beratungs-Boot sitzt.

Besonnen bleiben und Unterstützung suchen

Doch was tun, wenn ein Verdacht aufkommt, wenn Junge oder Mädchen sich zurückziehen, sich selbst vernachlässigen, über Kopf- oder Bauchschmerzen klagen, unter Schlafstörungen oder Konzentrationsschwäche leiden, stark zu oder abnehmen, Drogen nehmen oder die Schule schwänzen, um einige mögliche Missbrauchs-Symptome zu nennen?

„Es ist wichtig, nicht vorschnell zu interpretieren, sondern einfühlsam mitzuteilen, dass man sich Sorgen macht“, sagt Petra Kogelheide. Möglichst besonnen bleiben und Unterstützung suchen, heißt ein zentraler Rat.

In Essen können sich Betroffene kostenfrei und vertraulich nicht nur an alle Familienberatungsstellen wenden, sondern insbesondere auch an die neue spezialisierte Beratung gegen sexualisierte Gewalt beim JPI (Telefon: 88 51 333) und dem Kinderschutzbund (20 20 12). Körperliche Untersuchungen und Spurensicherung sind möglich in der Kinderschutzambulanz der Elisabethklinik (897 0). Zu Fragen der Strafverfolgung berät die Opferschutzbeauftragte der Essener Kripo, Bettina König unter 829-5454. Kitas und Schulen vermitteln ebenfalls an diese Stellen.