Essen. Nach Ausschreitungen verfeindeter Familien in Altendorf ermittelt die Clanabteilung der Polizei. Friedensrichter soll die Fehde wohl schlichten.

Nach den wohl größten Massentumulten verfeindeter arabischer Großfamilien, die Essen je gesehen hat, mit rund 400 Menschen am Samstag und einer rund 100-köpfigen erneuten Zusammenrottung am Sonntag hat die Polizei etwa 100 der mutmaßlichen Schläger von Altendorf identifizieren können.

Allein 40 davon waren nach dem ersten Gewaltausbruch in eine Wohnung an der Serlostraße geflüchtet, wo die Einsatzkräfte nach einem Hinweis auf den blutenden 31-Jährigen stießen, der durch ein Messer schwer am Hals verletzt worden ist. Das Gewaltopfer musste notoperiert werden und ist inzwischen außer Lebensgefahr, was die Behörden durchaus mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen. Ein Tötungsdelikt könne in einer offensichtlich eskalierenden Fehde wie ein Brandbeschleuniger wirken, heißt es.

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Nicht vergessen ist die Ermordung eines jungen Libanesen, der 2016 mit nur 21 Jahren auf der Friedrich-Ebert-Straße erschossen wurde. Dieses Verbrechen war das Ergebnis einer Blutfehde und der schreckliche Höhepunkt einer ganzen Reihe von Tumultlagen, die die Essener Bevölkerung über Jahre verunsichert hatte, bevor sich die Situation durch ständige Razzien und die Präsenzkonzepte der Polizei danach merklich beruhigte.

Ein Rückfall in eine archaische Konfliktkultur

Bis es am vergangenen Wochenende erneut zu den Gewaltausbrüchen kam - und damit zu einem Rückfall in eine archaische Konfliktkultur, die so mancher als nahezu bewältigt eingeschätzt hatte. Nach den aktuellen Zwischenfällen laufen die Ermittlungen nun erneut bei der Clanabteilung der Polizei zusammen und auf Hochtouren, sagte deren Sprecher Pascal Schwarz-Pettinato am Montag. Der mutmaßliche Messerstecher sei bereits namentlich identifiziert. Nach ihm werde nun gefahndet. Zwei weitere Beteiligte erlitten leichte Verletzungen.

Nach der Massenschlägerei in Essen-Altendorf am Samstag musste die Polizei am Sonntag wieder an die Altenessener Straße ausrücken, um einen weiteren Gewaltausbruch im Keim zu ersticken.
Nach der Massenschlägerei in Essen-Altendorf am Samstag musste die Polizei am Sonntag wieder an die Altenessener Straße ausrücken, um einen weiteren Gewaltausbruch im Keim zu ersticken. © Justin Brosch | JUSTIN BROSCH

Weitere Erkenntnisse über die Hintergründe der Auseinandersetzungen auf offener Straße der mit Mobiliar, Messern und noch mehr Gerätschaften bewaffneten Menschenmenge sind - wie so oft - eher theoretischer Natur: Der Streit zwischen den zwei beteiligten Großfamilien könnte sich an einer Beleidigung gegenüber einem Musikmanager entzündet haben, der mehrere Rapper unter Vertrag hat, aber auch das Resultat konkurrierender Drogengeschäfte sein.

Schwarz-Pettinato bestätigte zumindest Informationen dieser Zeitung, dass die Fehde innerhalb einer in Altendorf offensichtlich fest etablierten arabischen Parallelgesellschaft wohl von einem Friedensrichter beigelegt werden soll: „Davon haben wir auch gehört.“ Dass die Polizei deshalb bereits in einer Moschee an der Stauderstraße vorstellig geworden sein soll, um eine dort geplante Einigung der Familien im rechtsfreien Raum zu unterbinden, kommentierte deren Sprecher nicht.

„Diese Geschichte wirft uns um Jahre zurück“

„Wir werden nicht nachlassen, diese Form der Parallelgesellschaft konsequent zu verfolgen und mit allen Mitteln des Rechtsstaats zu unterbinden“, machte Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen am Montag deutlich: „Solche Taten sind nicht nur strafbar, sie schaden auch massiv dem Ansehen des Stadtteils Altendorf und der Stadt Essen und nicht zuletzt schaden sie auch allen in diesem Zusammenhang unternommenen Integrationsbemühungen der vergangenen Jahre.“ Ein weiterer Stadtvertreter wurde da noch deutlicher: „Diese Geschichte wirft uns um Jahre zurück.“

Die Stadt sei ständig im engen Austausch mit den Behörden im Rahmen der Sicherheitskooperation und der Besonderen Aufbauorganisation Clan, um gemeinsam gegen kriminelle Clans vorzugehen, so Kufen: „Wir fordern deshalb alle Personen auf, die zu den Vorfällen am Wochenende sachdienliche Hinweise geben können, mit den Sicherheitsbehörden zu kooperieren und sich somit klar zu distanzieren.“

Dieser Aufruf dürfte jedoch eher symbolischer Natur sein. Wie so oft in solchen Fällen von Selbstjustiz und absichtlich zur Schau getragener Machtdemonstration stoßen Ermittler auf eine Mauer des Schweigens - wie bei der Mafia, heißt es. Nur dass die ihre Rivalitäten nicht offen zur Schau stellt wie die Clans aus dem arabischen Raum. Dennoch sind deren Rädelsführer oft nur schwer zur Rechenschaft zuziehen, Aussagen werden zurückgezogen oder es wollen mit einem Mal alle Opfer, aber nicht Täter gewesen sein.

„Die werden wohl nicht nur aus Altendorf sein“

Dass sich die Gewalt am Wochenende binnen kürzester Zeit massenhaft Bahn gebrochen hat, ist für Kenner der Szene jedenfalls ein Indiz dafür, dass die Auseinandersetzung nicht wie aus heiterem Himmel kam, sondern mutmaßlich verabredet war: „400 Beteiligte? Die werden wohl nicht nur aus Altendorf sein.“