Essen. In Göttingen müssen Frauen beim Schwimmen im Freibad kein Bikini- Oberteil mehr tragen. Die Meinungen im Essener Grugabad dazu sind geteilt.
Wenn Frauen in Göttingen das Sommerwetter in Freibädern genießen möchten, dann müssen sie kein Bikinioberteil mehr tragen. Seit dieser Badesaison ist es in der niedersächsischen Stadt für sie erlaubt, oberkörperfrei zu schwimmen – dazu hat die Göttinger Verwaltung sogar Hinweisschilder aufgestellt. Die neue Regel hat für Aufsehen gesorgt, und auch in Essen wird über „oben ohne“ diskutiert.
Im Grugabad gehen die Meinungen zum Baden ohne Bikinioberteil auseinander. „Es sollte jeder Frau selbst überlassen sein, wie sie sich bekleiden möchte“, findet Anne (25). Ihr gefällt der Göttinger Vorstoß. „Dazu kommt, dass es höchste Zeit für die Entsexualisierung des weiblichen Körpers ist.“ Für sie gehe es nicht nur um den reinen „Spaß am Nacktbaden“, sondern um eine politische Botschaft.
Auf die Frage, ob sie selbst auch ihr Bikinioberteil weglassen würde, antwortet sie: „Das kommt ganz auf die Situation und das Umfeld an. Wenn ich mehrere Frauen sehe, die sich ‚oben ohne‘ sonnen oder baden, lasse auch ich mein Bikinioberteil aus.“ Ein entspannterer Umgang mit Nacktheit habe ihr geholfen, ihren Körper so zu akzeptieren, wie er ist, sagt die Studentin, während sich Grugabad-Gast Hussin (32) fragt: „Warum sollte eine Frauenbrust sexueller sein als eine Männerbrust?“
Essener Freibad-Gast wünscht sich Gleichberechtigung
Im Sinne der Gleichberechtigung müsse das „Oben-ohne“-Baden für alle gleichermaßen erlaubt sein, findet Hussin (32). Aber er sieht auch Probleme. Er befürchtet, dass Teile der Gesellschaft noch nicht so weit sind und die weibliche Brust sexualisieren würden. „Deshalb könnte es zu Übergriffen kommen.“
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Das glaubt auch Sabine (56), die sich ein paar Meter weiter mit ihrer Tochter Vanessa (28) sonnt. „Oben ohne“ im Freibad herumzulaufen, könne „falsche Signale“ an Männer senden: „Die sehen das dann als eine Einladung. Schon in der Sauna wird man als Frau immer angeglotzt.“ Ihre Tochter, die gerade aus dem Fuerteventura-Urlaub kommt, sagt: „Keine Frau aus meiner Generation hat dort ihr Bikinioberteil ausgezogen.“
Grugabad-Gast: „Leute gucken komisch, weil ich einen Burkini trage“
Doch welche Regeln gelten eigentlich gerade in den Essener Freibädern? Erlaubt ist es Frauen nicht, ohne Bikinioberteil ins Wasserbecken zu gehen. In der Haus- und Badeordnung für die Nutzung der Essener Schwimmbäder heißt es, dass der „Aufenthalt in Nassbereichen und Badebecken (...) ausschließlich in handelsüblicher Badebekleidung“ erlaubt ist. Stadtsprecher Burkhard Leise bestätigt: „Herkömmliche Badebekleidung wie Badeanzüge, Bikinis, Badehosen sind erwünscht.“
Muslimische Frauen könnten auf den Burkini zurückgreifen – auch wenn manche Gäste irritierte Blicke ernten, wie Sarah (27) berichtet. Sie trägt einen solchen Burkini. „Die Leute gucken manchmal komisch“, sagt sie, „aber das ist mir egal.“
„Oben-ohne“-Sonnen ist in Essener Freibädern nicht verboten
Fakt ist: Die Badebekleidung muss eng an der Haut anliegen und aus Kunstfaser bestehen. Schwimmsachen aus Baumwolle sind hingegen nicht gestattet. Für die Liegewiesen gilt die Vorschrift der handelsüblichen Badekleidung nicht, demnach ist auch das „Oben-ohne“-Sonnen nicht verboten.
In der Badeordnung ist übrigens niemals eine spezielle „Oben-ohne“-Regelung aufgeführt worden, seit Jahrzehnten ist sie unverändert geblieben. In den 1980er-Jahren war das Verständnis von Nacktheit unter den Badegästen jedoch ein anderes.
In den 80er-Jahren war „Oben-ohne“-Baden bei Frauen Normalität
Vor 30 Jahren war es für Frauen „normal, ‘oben ohne’ schwimmen zu gehen“, wie Badegast Angelika (65) bemerkt. „Früher war der Umgang damit einfach freier.“ Langzeit-Grugabad-Besucherin Petra Jüssen (53) bestätigt das: „In den 80er Jahren war das normal, wir haben uns da gar keinen Kopf drum gemacht.“ Seit Jahren sieht der Grugabad-Fan keine Frau mehr „oben ohne“. Dabei sei es etwas „total Schönes“, in der Sonne zu liegen und sich obenrum frei zu fühlen
Weder sei sie von anderen Badegästen je belästigt noch vom Badepersonal darauf hingewiesen worden, sich wieder anzuziehen. Den Vorstoß aus Göttingen begrüßt sie: „Ich denke, dass sich durch öffentliche Schilder mehr Frauen angesprochen fühlen, ihr Bikinioberteil auszuziehen.“
Auch Jüssens Freibadoutfit ist derzeit der Bikini, „aber wenn ich sehen würde, dass andere Frauen sich wieder obenrum frei sonnen, wäre ich sofort dabei, auch, wegen der weißen Streifen auf der Haut“, sagt die Badbesucherin in Essen, lacht und ergänzt: „Ich finde es schade, dass wir im Moment nicht so natürlich und frei mit unserer Körperlichkeit umgehen.“