Essen. . 1992 veröffentlicht die WAZ ein Foto, das Petra Jüssen sehr freizügig mit ihrem Mann Dirk zeigt. 24 Jahre später lässt sich das Paar erneut ablichten.
- Ordensfrau beschwerte sich 1973 im Strandbad Baldeney über eine barbusige Schülerin
- Später warben Essener Freibäder offensiv für Freizügigkeit auf den Liegewiesen
- Seit geraumer Zeit ist „Oben ohne“ aber in Essener Bädern die große Ausnahme
Der Himmel ist blau, die Sonne lacht und die Verliebten genießen in den kühlenden Fluten des Grugabades den Essener Sommer. Es ist August 1992, als der Fotograf Frank Vinken diesen Moment der Unbekümmertheit festhält: Mit einem Foto, das aus heutiger Sicht, nun ja, als gewagt gelten dürfte. Denn Petra Jüssen, die Nixe von damals, zeigt sich auf dem Bild „oben ohne“. „Das war damals völlig normal und überhaupt kein Stein des Anstoßes“, erinnert sich die 47-Jährige aus Bergerhausen.
Ein Vierteljahrhundert später ist die textile Freizügigkeit von damals genauso Geschichte wie Flower Power, lange Männermähnen und Trampen. Oben ohne – was in den Siebzigern, Achtzigern und frühen Neunzigern ein regelrechter Hype war, gilt Anno 2016 als ziemlich out. Und das nicht nur auf den Liegewiesen der Freibäder. „Auch bei uns sind alle Gäste angezogen, Oben ohne gibt’s hier nicht“, berichtet Holger Walterscheid vom privat betriebenen „Seaside Beach“ am Baldeneysee.
Damals nennt sich diese Badeanstalt in städtischer Regie „Freibad Baldeney“ und Schwimmmeister Jürgen Lorenz hat das Sagen – später als Badleiter im Grugabad.
„In den siebziger Jahren war das Strandbad ein richtiges Studentenbad“, erinnert sich der 74-Jährige. Und erzählt von einer Begebenheit aus dem Jahr 1973, die er textilhistorisch als Beginn des stürmischen Oben-ohne-Zeitalters einordnet. „Eine Ordensschwester beschwerte sich bei mir darüber, dass eine ihrer Schülerinnen mit entblößtem Busen auf der Liegewiese lag.“ Daraufhin habe er den Backfisch höflichst aufgefordert, sich doch bitte wieder anzuziehen. Doch schon eine halbe Stunde später hieß es, der rebellische Teenager habe erneut die Hüllen fallen lassen. „Als ich sie abermals zur Rede stellte, hatte sie sich einfach Kleeblätter auf die Brust geklebt.“
Kein „Oben-ohne“-Passus
Eine Episode zum Schmunzeln. Aber von nun an ist das eherne Nackt-Tabu aus den prüden Fünfzigern in den Essener Freibädern gebrochen. Lorenz und mit ihm die Leitung der Bäderbetriebe geben den Widerstand gegen „Oben ohne auf. Mehr noch. Spätere Amtsleiter und Bäderchefs werben sogar ganz offen für die neue weibliche Freizügigkeit in ihren Badeanstalten. Auch im Freibad Nord, so erinnern sich ehemalige Gäste, wird die frohe Botschaft offensiv nach außen getragen: Nein, nein, nichts spreche gegen „Oben ohne“, heißt es. „So lagen wir Handtuch an Handtuch“, berichtet Petra Jüssen, und betont, dass es bei aller Nacktheit niemals Grapschereien oder billige Anmache gegeben habe. „Wir fühlten uns natürlich und frei.“
Oben ohne – die Frauenbewegung feiert dies als Triumph und Akt der Befreiung. Und schön anzusehen sind die braun gebrannten Körper obendrein. Rasch wird die Oben-ohne-Mania Badeanstalten und Baggerseen erobern und sogar ferne Strände in Ibiza und Palma.
In die offizielle Benutzungsordnung der Freibäder ist übrigens niemals ein Extra-„Oben-ohne“-Passus eingeflossen. Seit Jahrzehnten unverändert besagt Paragraph vier, Ziffer fünf lediglich: „Der Aufenthalt im Nassbereich der Bäder ist nur in Badekleidung gestattet.“
Verliebt, verlobt, verheiratet
Den jeweiligen Moden unterworfen sind lediglich die ungeschriebenen Bekleidungsregeln auf den Liegewiesen. Und schon Mitte der Neunziger, so sind sich die Freibad-Chronisten einig, legt frau zunehmend wieder das Oberteil an. Nicht aus Prüderie und schon gar nicht aus Rücksicht gegenüber zugeknöpften Zuwanderern, sondern eher aus ästhetischen und/oder gesundheitlichen Gründen. „Die Menschen sorgen sich zunehmend um ihre Haut“, findet Petra Jüssen. Anderen wiederum fällt auf, dass hübsche junge Mädchen von heute ihre Körper mit demonstrativem Stolz lieber in modischen Bikinis und Badeanzügen zur Schau stellen.
24 Jahre nach Frank Vinkens Schwarz-Weiß-Foto haben wir Petra und Dirk Jüssen abermals im Grugabad fotografiert. Bei strahlender Sonne, blauem Himmel und in derselben Pose. Nur tragen die Verliebten von damals, glücklich wie eh und je, seit langer Zeit Eheringe. Und ganz dem aktuellen Modetrend entsprechend hält er sie jetzt im Bikini samt Oberteil in seinen Armen. Zwei Bilder, zwei Epochen, aber eine Aussage. „Liebe Essener“, appelliert Petra Jüssen, „nutzt das herrliche Sommerfinale und geht ins Grugabad.“