Essen. In Paraguay startete am Montag die Suche nach Clara (10) aus Essen. Die Mutter des Mädchens richtete sich an die Medien - und bittet um Hilfe.

Vier Personen auf einem Plakat, und alle haben sie dieses strahlende Lächeln auf den Lippen: Das kommt einem vor wie Hohn angesichts des Ernstes der Lage. Doch mit diesen Bildern eines Steckbriefs versucht man an diesem Montag im fernen Paraguay, einen Alptraum zu beenden – die Flucht zweier deutscher „Querdenker“ mit den von ihnen entführten Kindern und einen emotionalen Ausnahmezustand für jene Elternteile, die voller Verzweiflung zurückblieben: Anne Reiniger-Egler aus Essen und Filip Blank aus München.

Sämtliche Zurückhaltung aufzugeben, nun auch öffentlich und für alle Welt sichtbar das Innerste nach außen zu kehren – Anne Reiniger-Egler, die Tochter des einstigen Essener Oberbürgermeisters Wolfgang Reiniger, kostet dies enorme Überwindung. Aber nach einem halben Jahr der vergeblichen Suche sieht sie keine andere Chance, als alles auf eine Karte zu setzen, damit sie ihre zehnjährige Tochter Clara wieder in die Arme schließen kann. So ging die 45-Jährige an diesem Montag (30. Mai) um 11 Uhr Ortszeit (17 Uhr deutscher Zeit) gemeinsam mit Staatsanwältin Carina Sánchez vor die Presse, um einen dramatischen Appell zu formulieren, mit dabei Anwälte mehrerer paraguayischer Behörden für die Rechte von Kindern.

Frisier-Vorlieben, Zahnlücken, mögliche Tarn-Namen: Die Ermittler lassen kein Detail aus

Es geht darum, die paraguayische Bevölkerung sensibel für diesen Fall zu machen. Und vielleicht auch darum, in der stark gewachsenen Gemeinde deutscher Auswanderer in Paraguay – darunter viele Impfgegner und Menschen aus der „Querdenker“-Szene – Unterstützung zu finden.

Die beteiligten Behörden, darunter die Anti-Entführungs-Einheit Antisecuestro und das Ministerio de la defensa publica, lassen bei der Suche kein Detail aus: Die Steckbriefe zählen neben Größe und Gewicht auch Frisier-Vorlieben der beiden entführten Mädchen, auf, genauso wie Schmuck-Hinweise, Zahnlücken und dazu die möglicherweise genutzten Tarn-Namen jener beiden Erwachsenen, die mit Clara (10) und Lara (11) auf der Flucht sind.

Andreas Egler (46), Claras Vater, trete womöglich mit seinem zweiten Vornahmen Rainer oder Reiner auf, ergänzt um den Nachnamen Scharpf, den Mädchennamen seiner Frau Anna Maria (35). Sie, die Mutter Laras wiederum könnte mit ihrem Künstlernamen als Opernsängerin unterwegs sein: „Anna Karmasin“.

Die Doppel-Entführung aus Deutschland knüpft Bande um den halben Erdball

Die Doppel-Entführung aus Deutschland, die sich seit der Einreise am 27. November 2021 nachweisbar in Paraguay abspielt, knüpft Bande über den halben Erdball: Während Claras Mutter sich zu einem öffentlichen Auftritt in der paraguayischen Hauptstadt Asunción überwindet und Kontakte zu einem neugegründeten Verein für Angehörige von Entführten in Essen unterhält, versuchte Filip Blank aus München, der Vater des anderen entführten Mädchens, in einem dramatischen Video-Appell auf Facebook seine Ex-Frau zum Einlenken zu bewegen.

Es ist ein beim Parkspaziergang aufgenommenes Selfie-Video vom „wohl traurigsten Vatertag, den ich je hatte“. Auch Blank war schon einmal fünf Wochen in Paraguay unterwegs, hatte versucht, mit den dortigen Behörden eine Rückkehr zu organisieren. Auch er blieb bis dato erfolglos, das setzt ihm zu, gestern noch mehr als sonst: Es war Laras elfter Geburtstag.

Blank setzt nun auf die sozialen Medien, darauf, dass seine Videobotschaft Laras Mutter erreicht: „Ich habe immer an dich geglaubt, und ich weiß, dass du fähig bist und bereit bist, die richtigen Dinge zu tun, wenn es um dein Kind geht.“

Laras Vater Filip Blank fleht: „Pass bitte auf die Kleine gut auf und kommt bald zurück“

Die Angst vor Impfschäden und den Corona-Folgen auch fürs hiesige Staatswesen hatte die beiden Entführer-Eltern zu ihrem Schritt getrieben, „Wir haben die Reißleine gezogen“, hieß es im Abschiedsbrief. Die Pandemie sei hierzulande vorbei, versichert deshalb Filip Blank auf Facebook, „es bricht eine neue Zeit an, eine zweite Chance für uns alle“, auch für die Entführer. Er nennt einen Anwalt als Kontaktmann, für den Fall dass Anna Egler, seine Ex-Frau, nicht mehr weiter weiß. Ob sie das knapp fünfminütige Selfie-Video zu sehen bekommt, vermag niemand zu sagen. Wenn ja, dann hört sie dieses Flehen am Schluss: „Pass bitte auf die Kleine gut auf und kommt bald zurück.“

Denn sie zu finden, das wird schwierig genug. Selbst die örtlichen Behörden, so berichtet das deutschsprachige Wochenblatt in Paraguay, beklagen, dass sie nicht nur aufgrund der Geheimhaltung, sondern auch wegen der „geringen Zusammenarbeit in den deutschen Gemeinden in den Gebieten, in denen die Mädchen gesehen wurden“, keine weiteren Fortschritte erzielt hätten.

Von Medien heißt es: Eine Flucht ins benachbarte Ausland ist nicht ausgeschlossen

Aktuell vermute man, dass sich die Gesuchten im Gebiet von Villarrica oder Colonia Independencia aufhalten, ein Distrikt im Departamento Guairá und zugleich eine deutschsprachige Kolonie in Paraguay mit rund 27.000 Einwohnern, rund 180 Kilometer östlich der Hauptstadt Asunción.

Den letzten Absatz der Berichte aus den örtlichen Medien müssen die deutschen Beteiligten an diesem Montag gleichwohl irgendwie verdrängen: Dort heißt es, es könne „aber nicht ausgeschlossen werden, dass beide mit den Mädchen in andere Gebiete geflüchtet sind oder illegal die paraguayische Grenze in Nachbarländer überschritten haben“.