Essen. Am Anfang geht es darum, humanitäre Hilfe zu bündeln, offizielle Kontakte sollen folgen. Kein Ersatz für Kontakte ins russische Nischni Nowgorod.

Nun gut, einen Katzensprung kann man das nicht gerade nennen. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg ins ukrainische Riwne, und der führt vom Essener Hauptbahnhof aus per Bus nonstop binnen 24 Stunden und 35 Minuten ans Ziel. Für die Fahrt am 2. Juni sind noch ein paar Plätze frei, man könnte sich also für einen Ticketpreis von 110 Euro schon mal ein bisschen umschauen – in Essens designierter Partnerstadt Nr. 8.

Geknüpft werden die neuen Bande behutsam, wie ein Antrag der schwarz-grünen Ratskoalition zeigt, der am kommenden Mittwoch (25. Mai) im Stadtparlament zur Abstimmung steht. „Solidaritätspartnerschaft“, so haben CDU und Grüne ihren Vorstoß genannt. Unter dieser Flagge soll die nach wie vor große Hilfsbereitschaft der Essener Stadtgesellschaft aufgegriffen werden und ohne viel Formalkram und feierliches Brimborium gezielt bedarfsgerechte humanitäre Unterstützung möglich machen.

Riwne ist die Partnerstadt der Partnerstadt: Das Hilfe-Netzwerk funktioniert schon

Dass die Wahl dabei auf Riwne fiel, eine Industriestadt mit etwa 250.000 Einwohnern im Nordwesten der Ukraine, viereinhalb Autostunden von Kiew entfernt, hat gleich zwei Gründe: Die großteils vom russischen Raketenhagel verschonte Stadt ist landesintern eines jener Drehkreuze, um überlebensnotwendige Güter in andere Teile der riesigen Ukraine zu verteilen. Daneben dient sie als Anlaufstelle für viele Binnenflüchtlinge.

Andrang an Flüchtlingen flaut ab

Die große Welle an ukrainischen Flüchtlingen scheint einstweilen vorbei. Grund für die Stadt, die Öffnungszeiten ihrer Servicestelle beim Sozialamt an der Steubenstraße zurückzuschrauben. Ab Montag, 23. Mai, ist die Servicestelle an Wochenenden und Feiertagen nicht mehr geöffnet.

Seit Kriegsbeginn wurden in Essen 5766 Menschen aus der Ukraine erfasst, 3819 kommen bei Freunden und Verwandten unter, 938 in städtischen Einrichtungen, 768 in solchen des Landes, 185 in Hotels.

Zum anderen unterhält auch Essens polnische Partnerstadt Zabrze bereits gute Kontakte nach Riwne, man fängt also in der Organisation der Hilfe nicht bei Null an, sondern kann auf ein funktionierendes Netzwerk zugreifen. Es gab zwar vereinzelt auch schon direkte Hilfslieferungen von Essen nach Riwne, darunter eine Lieferung mit Medikamenten, doch eingespielte Kanäle zu nutzen sei allemal wirkungsvoller, heißt es. Auch und gerade für den Plan, für die Zeit nach dem Ukraine-Krieg eine verlässliche und langfristige Unterstützung aufzubauen – mit einem frühzeitig geknüpften starken Netzwerk aus zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Akteuren.

Die Gesprächsfäden mit dem russischen Nischni Nowgorod nicht abreißen lassen

Zu einem späteren Zeitpunkt könnte, nein: soll diese „Solidaritätspartnerschaft“ in eine klassische Städtepartnerschaft umgemünzt werden. Es wäre die achte für Essen nach dem englischen Sunderland (besiegelt 1949), dem finnischen Tampere (1960) und dem französischen Grenoble (1979), nach Tel Aviv-Yafo in Israel und Nischni Nowgorod in Russland (beide 1991) sowie dem polnischen Zabrze und Changzhou in China (beide 2015).

Und nein, ein Rückzieher aus dem partnerschaftlichen Verhältnis mit Nischni Nowgorod ist nach wie vor nicht geplant, betont CDU-Fraktionschef Fabian Schrumpf. Dass angesichts der Abhängigkeit auch der dortigen Stadtregierung vom Putin-Regime offizielle Kontakte in Zeiten des Krieges und wohl auch eine ganze Weile danach „wenn überhaupt nur sehr eingeschränkt möglich“ sind, „das versteht sich von selbst“, sagt Schrumpf: Es gehe darum, die Gesprächsfäden nicht völlig abreißen zu lassen.

Sie sind dünn genug.