Essen. Die Stadtspitze sieht Essen eindeutig „an der Seite der Ukraine“. Wie die Hilfe aussehen könnte, besprach der OB mit Generalkonsulin Iryna Shum.

Am Dienstag standen sie plötzlich vor der Tür: Zwei Männer und eine Frau aus der Ukraine am hiesigen Sozialamt, geflüchtet vor den Raketen und dem Kugelhagel eines Krieges, der 1800 Kilometer entfernt seinen Blutzoll fordert. Und der mit seinem Schrecken doch jeden Tag gefühlt ein Stückchen näher kommt. Wie lässt sich von hier aus Hilfe leisten? Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen bekam am Mittwoch darauf Antworten aus erster Hand: von der ukrainischen Generalkonsulin Iryna Shum.

Und während unten in der Stadt am Abend so mancher das Licht löscht, gedacht als europaweites Signal der Solidarität mit der Ukraine, zeugt die beleuchtete 22. Etage des Rathauses vom Bemühen, bei aller Betroffenheit einen nüchternen Blick auf das Machbare zu werfen: Weil ja „Aktionismus auch nicht hilft“, wie der OB einwirft, und andererseits gut gemeinte Solidaritätsadressen weder wärmen noch satt machen.

„Die Essenerinnen und Essener stehen an ihrer Seite“, sagt der Sozialdezernent

Also geht es an diesem Abend um einen Hilfskonvoi mit Nudeln, Brot und Schokolade, um gespendete Schlafsäcke Decken und Medikamente genauso wie um die Frage, wie denn die Stadt ukrainische Flüchtlinge nun einzusortieren hat: nach dem Asylbewerberleistungsgesetz oder dem Sozialgesetzbuch II. Klingt nach bürokratischer Pedanterie, entscheidet aber eben darüber, welche staatliche Ebene wann wie viel Geld locker macht und ob die Menschen, die demnächst hier eintreffen, arbeiten dürfen oder nicht.

30.000 Ukrainer in NRW, 1686 in Essen

In Essen leben 1686 Menschen mit ukrainischer Staatsbürgerschaft, rund 30.000 sind es in NRW, etwa 150.000 deutschlandweit.

Iryna Shum ist seit Juli vergangenen Jahres Generalkonsulin und damit für die Ukrainerinnen und Ukrainer in ganz NRW zuständig.

Sie stammt aus Kiew, hat in München studiert und unter anderem bei der Ukrainischen Botschaft in Berlin und am Generalkonsulat in München gearbeitet. Shum ist verheiratet und lebt in Düsseldorf.

„Die Essenerinnen und Essener stehen an ihrer Seite“, betont Sozialdezernent Peter Renzel und verweist auf zahllose Initiativen, große und kleine, von Privatleuten und Unternehmen. Er muss Iryna Shum an diesem Abend nicht überzeugen: „Ich wünsche mir, dass die Menschen, die hier her kommen, sich wohl- und willkommen fühlen“, sagt die junge Frau aus Kiew, Jahrgang 1985, die als Generalkonsulin für die ukrainischen Landsleute in ganz Nordrhein-Westfalen zuständig ist. Und: „Dieses Gefühl habe ich auf allen Ebenen.“

Russland und die Ukraine: Ein Hauch von Weltpolitik weht durch die 22. Rathaus-Etage

Und sie scheint überwältigt von den „Tausenden, die sich bei uns melden“ – der gehackten Internetseite des Generalkonsulats zum Trotz: So überwältigend scheint die Unterstützung, dass sie hie und da behutsam bremst. Was gebraucht wird? „Ich kann Ihnen sagen, was n i c h t gebraucht wird: Das ist Kleidung, davon haben wir genug.“ Die Lager an der Grenze zu Polen, Rumänien und der Slowakei seien komplett gefüllt, darum: „Ich glaube wir müssen erst einmal ein paar Tage abwarten.“

Und am Ende eine Parole voll trotzigen Optimismus’: слава україни, Ruhm der Ukraine, so schrieb Iryna Shum ins Gästebuch der Stadt.
Und am Ende eine Parole voll trotzigen Optimismus’: слава україни, Ruhm der Ukraine, so schrieb Iryna Shum ins Gästebuch der Stadt. © wk

Geduld haben in einer Situation, die täglich Menschenleben kostet und die Leid in noch nicht vorstellbarem Ausmaß auslösen dürfte: Das lässt sich nicht nur mit der Zahl der Hilfsfuhren diskutieren oder anhand eingehender Summen auf Spendenkonten. Und deshalb weht ein Hauch von Weltpolitik durch die 22. Rathaus-Etage. Mittendrin der hörbare Vorwurf, dass im Westen „das Bewusstsein früher nicht da war“, einen Krieg in der Nachbarschaft zu haben: Der habe doch schon „vor acht Jahren begonnen und 14.000 Menschenleben gekostet“, bis er vor einer Woche formell erklärt wurde, sagt Shum.

„Was ich mir hier wünsche, das ist mehr Kontakt von Mensch zu Mensch“

Die von manchen ignorierte Angst vor Russland, die hätten sie als Ukrainer wie auch andere Staaten „in unserer DNA seit sowjetischen Zeiten“. Dass am Ende ein Krieg stehen könnte, „wir haben es irgendwie gespürt, dass dies früher oder später kommt“. Jetzt erwartet man eine klare europäische Perspektive, aber eben „nicht nur formelle Prozeduren“, sondern menschliche Verbindungen: „Was ich mir hier wünsche, das ist mehr Kontakt von Mensch zu Mensch, mehr Veranstaltungen, mehr Bewusstsein, wer die Ukrainer sind.“

Dass es „keinen Raum mehr gibt für jegliche Beziehungen mit Russland“, dem setzt OB Kufen seine Überzeugung entgegen, dass es ein Fehler wäre, die Verbindungen mit Essens russischer Partnerstadt Nishni Nowgorod zu kappen. Beides bleibt so im Raum stehen – wie die herzliche Einladung in die Ukraine, die Shum ausspricht: „Bis bald im freien Donezk.“

Die Spätnachrichten aus der Ukraine lassen vermuten: ein frommer Wunsch.