Essen. Essens Grüne haben ihr letztes Ergebnis verdreifacht. Mit Mehrdad Mostofizadeh und Gönul Eğlence sind sie zum ersten Mal zu zweit im NRW-Landtag.
Nach der Landtagswahl 2017 haben die Essener Grünen ihre Wahlparty in ihrer Geschäftsstelle tief enttäuscht um 20.30 Uhr abgebrochen. Doch dieser Wahlsonntag fünf Jahre später, er ist ein Feiertag mit Freigetränken und Flammkuchen. Als um 18 Uhr die ersten Hochrechnungen über den Beamer-Bildschirm unter einem sonnenbeschienen Wahlkampfzelt vor dem „Felis“ an der Kastanienstraße in der Innenstadt flackern, ist der Jubel unter den rund 100 Gästen groß. Fehlt nur noch, dass sie vor lauter Begeisterung Sonnenblumen schwenken. Aber an die hat offenbar niemand gedacht.
Doch auch ohne das florale Symbol für Freiheit und Offenheit können die Grünen feiern - nicht nur sich und ihren Erfolg, sondern zudem auch ein tatsächlich historisches Abschneiden. Denn über 18 Prozent in Stadt und Land und damit 40 Parlamentssitze, die sich bereits nach der ersten Hochrechnung abzeichnen, bedeuten: Erstmals in der lokalen Parteigeschichte ziehen nicht nur zwei Grüne aus Essen in den Landtag ein. Mit Gönül Eğlence (43) neben Mehrdad Mostofizadeh (53), der auf bereits zwölf Jahre in Düsseldorf zurückschauen kann, ist die erste Frau aus dieser Stadt für künftige grüne Inhalte in einer NRW-Regierung zuständig - egal wie die sich zusammensetzen wird.
Essener Grüne: „Wir wollen nicht nur immer Ziele formulieren“
Wer aus den Facebook-Glückwünschen „Heute Rot. Morgen Grün“ der Partei in Richtung Rot-Weiss Essen am Samstag eine monochrome Farblehre ohne Alternative als Koalitionspräferenz herauslesen mochte, mag vor lauter Siegestaumel irgendwie Fußball mit Politik verwechselt haben.
Die Botschaft des Abends aus Essen nach Düsseldorf heißt vielmehr: Da, wo CDU und SPD „keine Strahlfigur, aber auch keine Hassfigur“ an ihrer Spitze haben, so der Essener Vorstandssprecher Markus Ausetz, gehe es nun allein um die Realpolitik, die geboten werde. „Wir wollen Dinge umsetzen und nicht nur immer Ziele formulieren. Das reicht uns nicht.“
Grüne in Essen: „Wir wollen die Landesregierung grün prägen“
„Wir wollen die Landesregierung grün prägen“, sagt der Essener Bundestagsabgeordnete Kai Gehring. Man habe im Vorfeld keinen demokratischen Partner ausgeschlossen und werde es an diesem Sonntag allein auf Grundlage des Wahlergebnisses, das „grandios ist“, ebenfalls nicht tun. „Gutes Regieren wird honoriert“, ist Gehring überzeugt: „Wir haben unser Ergebnis verdreifacht. Das zeigt, was die Wähler wollen.“
Und Ausetz meint mit Blick auf Berlin, wo Annalena Baerbock und Robert Habeck für mehr als nur den grünen Regierungsreigen zuständig sind, „dass die Menschen die Überzeugung gewinnen, dass man uns den Staat anvertrauen kann“.
Die Essener Grünen zählen inzwischen 850 Mitglieder
Für Gönül Eğlence und Mehrdad Mostofizadeh kommen an diesem Abend Euphorie und Erschöpfung zusammen - nach einem „intensiven Wahlkampf bis zuletzt“, in dem man „unglaublich viel Zuspruch in sehr weiten Teilen der Bevölkerung bekommen“ habe, sagt Vorstandssprecher Markus Ausetz. Es gebe ein deutlich erweitertes Publikum für grüne Politik - nicht nur, was die reine Masse angehe, sondern auch in der Breite der Gesellschaft.
Die Farbe Grün, sie stand an diesem Wahltag wie noch nie zuvor als politischer Neuanstrich für die Regeneration einer Partei, die in Essen inzwischen stolze 850 Mitglieder zählt - deutlich mehr als doppelt so viele wie noch bei der Landtagswahl 2017, die wiederum den historischen Tiefpunkt der Essener Grünen markierte.
Bürgermeister Rolf Fliß kann sich nur zu gut daran erinnern. Dass das Polit-Pendel nun allzu extrem in die Richtung der Macht ausschlägt, lässt den Ratsherrn bei aller Freude auch deshalb wohl mahnende Worte finden: „Ich plädiere für Demut“. Denn Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall - nun allerdings aus deutlich größerer Höhe.