Essen. 4700 Flüchtlinge aus der Ukraine sind nach Essen gekommen. Darunter gut ausgebildete Fachkräfte, die die Wirtschaft gerne einstellen würde.

Die ukrainische Flüchtlingswelle lässt die Arbeitgeber in Essen auf dringend benötigte Fachkräfte hoffen. Bei der Arbeitsagentur haben sich bereits mehrere Unternehmen gemeldet und ihr Interesse bekundet, Ukrainer einzustellen, sagte die Chefin der Behörde, Andrea Demler. Die Nachfragen kämen vor allem aus dem Bereich Pflege aber auch aus dem Handwerk, dem Hotel- und Gaststättengewerbe sowie dem Dienstleistungssektor.

„Gerade in der Pflege und dem Hotel- und Gaststättengewerbe ist das nicht verwunderlich“, meinte Demler. Beide Wirtschaftsbereiche würden schon länger händeringend Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen suchen. Der Fachkräftemangel sei dort besonders eklatant. Da es sich bei den ukrainischen Flüchtlingen allerdings vorwiegend um Frauen handelt, die allein mit ihren Kindern nach Essen gekommen sind, müsse neben dem Spracherwerb zunächst die Betreuung der Kinder organisiert werden, so Demler.

Jobangebote im Netz richten sich speziell an Ukrainer

Es gibt bereits Stellenportale im Netz, die sich speziell an die ukrainischen Flüchtlinge wenden. Auf der Plattform „Jobaid for ukrainian refugees“, die von einem Unternehmer ins Leben gerufen wurde, finden sich auch mehrere Jobangebote von Essener Firmen, darunter namhafte wie Aldi Nord oder Deichmann. Aber auch DPD, Fedex oder die Contilia-Gruppe suchen für ihre Essener Standorte Mitarbeiter.

Die Universitätsklinik Essen indes wirbt direkt auf ihrer Internetseite mit einer Anzeige um medizinisches Fachpersonal aus der Ukraine – und versteht darin in erster Linie Hilfe zur Selbsthilfe. 35 Rückmeldungen habe es bislang gegeben. „Von der Resonanz sind wir sehr positiv überrascht“, teilte der Kaufmännische Direktor Thorsten Kaatze mit. „Nach Klärung aller administrativen Fragen hoffen wir, sehr bald die ersten neuen Mitarbeiter begrüßen zu können.“ Sie sollen möglichst rasch in dem medizinischen Beruf arbeiten, in dem sie ausgebildet wurden.

Arbeitsagentur: Ukrainer bringen gutes Bildungsniveau mit

Andrea Demler dagegen muss die Begehrlichkeiten aus der Wirtschaft noch dämpfen. Derzeit gebe es in ihrer Behörde erst wenige Meldungen von ukrainischen Flüchtlingen, die eine Arbeit suchen bzw. Fragen zur Anerkennung ihrer Abschlüsse haben. Bis kurz vor Ostern hatten sich gerade einmal 16 Ukrainer und Ukrainerinnen zum Thema Jobaufnahme erkundigt. Unter den Interessenten hätten sich beispielsweise eine Lehrerin und ein Zahnmediziner befunden.

Die ersten Meldungen geben allerdings Anlass, dass die Hoffnungen der Arbeitgeber auf neue Fachkräfte nicht unberechtigt sein dürften. Laut Demler zeichnet sich bereits ab, dass die Flüchtlinge aus der Ukraine ein gutes Bildungs- und Ausbildungsniveau mitbringen. Das unterscheide die aktuelle Flüchtlingswelle von der 2015. „Der Zugang der Menschen aus der Ukraine zu Bildung ist ein anderer als der der Menschen aus dem arabischen Raum, die 2015 zu uns kamen“, betonte Demler. Die Ukrainer würden auch gute Sprachkompetenzen mitbringen. „Viele sprechen Englisch, manche sogar Deutsch“, so Demler. Generell sei sie zuversichtlich, dass eine Vermittlung in den Arbeitsmarkt nun deutlich schneller klappen dürfte.

Behörden in Essen bereiten sich auf mehr Jobsuchende aus der Ukraine vor

Dass das Interesse zur Aufnahme einer Arbeit auf ukrainischer Seite momentan noch nicht groß ist, ist nach Auffassung der Arbeitsagentur-Chefin völlig verständlich. „Bei den Geflüchteten stehen momentan noch ganz andere Fragen im Vordergrund.“ Ob und wie viele sich letztlich entscheiden, in Essen auf Arbeitssuche zu gehen, hänge davon ab, wie lange der Krieg in der Ukraine noch dauere und ob die Menschen in ihrem zerstörten Land eine Chance haben, schnell wieder Arbeit zu finden. „Die Menschen werden möglicherweise erst noch realisieren müssen, dass ihr Aufenthalt hier länger dauern wird.“

Deshalb bereitet sich die Arbeitsagentur zusammen mit dem Jobcenter bereits darauf vor, dass die Jobanfragen steigen werden. Die Behörden haben deshalb den „Integration Point“ wiederbelebt, der 2015 eingerichtet worden war, um speziell den Flüchtlingen einen unkomplizierten Zugang zu Sprachkursen und zur Jobvermittlung zu ermöglichen.

In Essen waren vor Ostern bereits rund 4700 Flüchtlinge aus der Ukraine erfasst, viele davon sind Kinder. Anders als viele Flüchtlinge 2015 müssen die Ukrainer kein klassisches Asylverfahren durchlaufen. Sie werden lediglich ausländerrechtlich registriert und haben damit automatisch eine Arbeitserlaubnis. Bislang ist noch die Arbeitsagentur für die Vermittlung arbeitssuchender Flüchtlinge aus der Ukraine zuständig. Da diese jedoch voraussichtlich ab 1. Juni keine Asylleistungen mehr, sondern Hartz IV beziehen werden, geht die Verantwortung dann an das städtische Jobcenter über.