Essen. Nachbarn retteten Marcel Preuß samt Rollstuhl aus dem brennenden Wohnkomplex im Essener Uni-Viertel. So geht es dem 37-Jährigen heute.

Wie es ihm geht? „Gut! Ich habe ein paar Tage frei. Ein wenig Zeit, um zur Ruhe zur kommen“, sagt Marcel Preuß. Der 37-Jährige ist einer von rund 130 ehemaligen Bewohnern des Wohnkomplexes an der Bargmannstraße im Essener Universitätsviertel, der in der Nacht vom 20. auf den 21. Februar in Flammen aufging und nahezu völlig ausbrannte.

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Durch diese Katastrophe ist Preuß, der seit seiner Geburt schwerstbehindert ist und im Rollstuhl sitzt, eine öffentliche Person geworden. Die Bildzeitung interviewte ihn nach der Brandnacht, der WDR interessierte sich für seine Geschichte, diverse Privatsender und auch unsere Redaktion.

Gegen zwei Uhr nachts schlug der Rauchmelder an und rettete Marcel Preuß das Leben

„Darüber zu reden, hat mir geholfen“, sagt Marcel Preuß eineinhalb Monate nach dem Brand. Das Geschehene in Worte zu fassen – vielleicht sei das sein Beitrag, anderen Menschen zu zeigen, dass das Schlimmste nicht immer so schlimm sei, wie es den Anschein habe. „Ich habe es selbst erlebt.“

Der Wohnkomplex an der Bargmannstraße im Universitätsviertel brannte in der Nacht zum 21. Februar nahezu vollständig aus.
Der Wohnkomplex an der Bargmannstraße im Universitätsviertel brannte in der Nacht zum 21. Februar nahezu vollständig aus. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Wie durch ein Wunder kamen keine Leben zu schaden, als das erst wenige Jahre alte Gebäude niederbrannte. Der Rauchmelder hatte Marcel Preuß gegen zwei Uhr nachts geweckt. Flammen leckten bereits an der Fassade. Kurz darauf zerbarst die Scheibe seines Schlafzimmers.

Preuß hievte sich aus seinem Bett in seinen Rollstuhl und rollte aus seiner Wohnung im ersten Stock hinaus in den Hausflur. Weil es brannte, konnte er den Aufzug nicht benutzen. Ein Nachbar und dessen erwachsener Sohn zögerten nicht und trugen ihn samt Rolli die Treppen hinunter.

Draußen angekommen, liefen die beiden zurück in das brennende Haus, um mit Hilfe der Feuerwehr einen weiteren Bewohner zu retten, der ebenfalls im Rollstuhl saß, berichtet Marcel Preuß. „Wir waren zwei.“ In der medialen Berichterstattung gehe das zuweilen unter.

Der Bürger- und Verkehrsverein Rüttenscheid bot Marcel Preuß eine neue Wohnung an

Die Nacht verbrachte Preuß wie meisten Hausbewohner im Audimax der Universität. Am nächsten Tag besorgten ihm Arbeitskollegen das Allernötigste. Denn bis auf seinen Schlafanzug und sein Handy war ihm nichts geblieben.

Marcel Preuß am Morgen nach dem Brand an der Bargmannstraße. Nachbarn hatten den 37-Jährigen mit seinem Rollstuhl aus dem brennenden Haus getragen.
Marcel Preuß am Morgen nach dem Brand an der Bargmannstraße. Nachbarn hatten den 37-Jährigen mit seinem Rollstuhl aus dem brennenden Haus getragen. © FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Mit Hilfe der Malteser kam er dann zunächst für eine Woche in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung unter, fand danach vorübergehend eine Bleibe im Evangelischen Studentenwohnheim „Die Brücke“, bis ihm schließlich der Bürger- und Verkehrsverein Rüttenscheid eine behindertengerechte Wohnung anbot.

Er habe viel Hilfe und Zuspruch erfahren von Freunden, aber auch von wildfremden Menschen, erzählt Marcel Preuß. Dafür sei er dankbar. Zu seinen ehemaligen Nachbarn hält er Kontakt. Vor der Ruine an der Bargmannstraße haben sie sich getroffen.

Nun wohnt Marcel Preuß auf der Rüttenscheider Straße und richtet sich gerade neu ein. Sämtliche Erinnerungsstücke aus den vergangenen 20 Jahren seines Lebens sind verbrannt. „Was einem fehlt, merkt man vielleicht erst, wenn man in einem Dezemberabend bei Kerzenlicht zum Fotoalbum greifen möchte, um darin zu blättern“, sagt er.

Wohnkomplex steht vor dem Abriss

Der Wohnkomplex an der Bargmannstraße im Universitätsviertel zählt insgesamt 112 Wohnungen. Davon brannten in der Nacht auf den 21. März 50 Wohnungen vollständig aus. Das Gebäude ist so stark beschädigt, dass es abgerissen werden muss. Der Eigentümer, das Wohnungsunternehmen Vivawest, schätzt den entstandenen Schaden auf eine zweistellige Millionensumme.

Geblieben sind Bilder in seinem Kopf aus der Brandnacht. „Zwei, drei Wochen danach hatte ich manchmal Alpträume“, erzählt der 37-Jährige. Inzwischen habe er das Erlebte gut verarbeitet.

Marcel Preuß ist studierter Physiker, arbeitet in der Energiebranche. Die Dinge zu sehen, wie es Naturwissenschaftler tun, nach Ursache und Wirkung zu fragen, macht es ihm offenbar leichter. Es seien unglückliche Umstände zusammengekommen, die schließlich in eine Katastrophe mündete. Der Wind, die erste Nacht seit Wochen, in der es nicht geregnet hatte… Dass dann alles innerhalb von 20 Minuten in Flammen stand, habe niemand ahnen können.

Die Ursache ist nach wie vor ungeklärt. Fest steht nur, dass die Balkonverkleidungen aus Kunststoff den Brand beschleunigten.

Marcel Preuß hatte Glück. Nun habe ein neuer Lebensabschnitt begonnen, in einer neuen Umgebung mit neuen Herausforderungen, die es zu meistern gilt. Auf der Rü mit ihren vielen Geschäften und Ladenlokalen habe er sich schon umgesehen. Mindestens jeder zweite Eingang, hat er dabei festgestellt, sei nicht barrierefrei.