Essen. Kirchen-Offizielle sehen die „Passion“ positiv: Der Bischof zeigt sich berührt, die Superintendentin lobt Gottschalk. Es gibt aber auch Kritiker.
Für viele Zuschauer war es ein überwältigendes TV-Erlebnis, für andere ein Grund zum Fremdschämen. Die einen sparten am nächsten Tag nicht mit Lobeshymnen, andere fanden nur Spot über ein TV-Ereignis, das zumindest kaum jemanden kalt gelassen hat: Die RTL-Passion, die am Mittwochabend rund 5000 Menschen live auf dem Essener Burgplatz und etwa drei Millionen Zuschauer am Bildschirm verfolgt haben, hat kontroverse Reaktionen ausgelöst. Was Vertreter der Essener Kirchen zum großen Bibelspektakel auf dem Burgplatz sagen:
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Einer, dessen Urteil besonders zählt, ist Essens Bischof Franz-Josef Overbeck: „Das Ereignis berührt mich und ganz viele, durch die Verbindung von Text mit Bildern und Musik, die sehr Unterschiedliches in einem anrühren und den Versuch machen, diese Geschichte wirklich im Heute zu erzählen“, zeigt sich Overbeck im Nachhinein zufrieden. „Mich selbst haben die aufmerksamen Menschen bewegt, die dabei waren – und natürlich die wunderbare Szene vor unserem Dom.“
„Werbung für den kleinen, aber feinen Dom war’s auf jeden Fall“
Auch Generalvikar Klaus Pfeffer urteilte via Facebook positiv: „Ein hochinteressanter Abend auf dem Essener Burgplatz vor unserem Dom: Die Passion in einer popkulturellen Inszenierung, die durchaus beeindruckte. Und Werbung für Essen und den kleinen, aber feinen Dom war‘s in jedem Fall.“
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Vor Ort auf dem Burgplatz zeigten sich die rund 5000 Zuschauer am Mittwochabend aber nicht nur bewegt, manche äußerten sich am Ende auch ein wenig verärgert über den schlechten Ton oder die mangelnden Sitzgelegenheiten, die auch die älteren Besucher zum stundenlangen Stehen zwangen. Einige Zuschauer hätten sich angesichts der vielen vorproduzierten Filmeinspieler auch ein wenig mehr „Action“ auf der Bühne gewünscht. „Im Grunde war das wie Fernsehgucken mit ein paar Tausend Leuten“, ärgerte sich ein 23-jähriger Zuschauer.
Superintendentin Marion Greve hat vor allem das Schlusslied „Halte Dich an mir fest“ gefallen
Immerhin: Lob, vor allem auch für TV-Moderator Thomas Gottschalk, gibt’s von Essens Superintendentin Marion Greve: Er war in seiner Rolle als Erzähler aus meiner Sicht glaubwürdig; seine Sprache war prägnant und nah am „Setting Ruhrgebiet“, den Menschen hier zugewandt“, urteilt Greve.
Die Kombination aus Pop-Songs und biblischer Geschichte habe sie auch im Nachhinein überzeugt: „Die Auswahl der Stücke hat die Grundbotschaft und die Gefühle, die ich mit der Passionsgeschichte verbinde, gut wiedergegeben. Vor allem ‚Halte Dich an mir fest‘ und ‚Hinterm Horizont geht’s weiter‘ waren meine Favoriten – sehr gut interpretiert. Auch die Lichtinstallation war stark.“
„Der Kirche muss es endlich wieder gelingen, die Botschaft in die Breite der Gesellschaft zu tragen“
Aber es gibt aus der Essener Kirche heraus auch kritische Stimmen: „Liebe Kirche: mach‘ Deine Hausaufgaben!“, fordert Rainer Teuber. Der Leiter der Museumspädagogik der Essener Domschatzkammer ist einer der Frontmänner der Initiative „Out in church“, die sich für die Akzeptanz sexueller Vielfalt in der Kirche einsetzt, und er zieht folgendes Fazit nach dem Event: „Die Botschaft vom Leiden und Sterben Jesu sowie die seiner Auferstehung hat auch nach mehr als zwei Jahrtausenden ihre Kraft nicht verloren“, so Teuber. Aber: „Nun muss es auch und vor allem der Kirche endlich wieder gelingen, diese Botschaft verständlich in die Breite der Gesellschaft zu tragen – damit hoffentlich in Zukunft auch jedes Kind nicht nur den Osterhasen, sondern auch das eigentliche (vor-)österliche Geschehen kennt.“
Ein werbefinanzierter Privatsender habe sich der „Passion“ angenommen, diese als TV-Event inszeniert, „um vor allem seine erwerbswirtschaftlichen Ziele zu erreichen“, bemerkt Teuber. Mit der Essen Marketing GmbH habe ein „findiges Stadtmarketing“ sich mit Erfolg um die Austragung des Events beworben und so beeindruckende Bilder der Stadt Essen zur besten Sendezeit in die deutschen Wohnzimmer transportieren können.
Der Essener Dom sei nur „eine schöne Kulisse“ gewesen
„RTL und EMG haben ihre Hausaufgaben gemacht. Trotz mancher dramaturgischen Schwächen und inhaltlich durchaus berechtigter Kritik erreichten sie ihre Ziele“, so Teuber. Und die Kirche? „Auch wenn es ein Begleitprogramm rund um das TV-Event gab, haften bleibt zunächst vor allem eins: Der Essener Dom war eine schöne Kulisse – nur! Jene Institution, deren Kernaufgabe die Verbreitung der biblischen Geschichte sein sollte, liefert allenfalls den Hintergrund. Und damit, so Teuber, dürfe sich die Kirche nicht abfinden.