Essen. Sie denken ökologisch, leben bewusst und schätzen Gemüse aus eigenem Anbau: In Essener Kleingärten wächst eine neue Generation heran.
Noch scheint es, als läge die Parzelle im Winterschlaf. Doch die Pflanzbeete sind umgegraben, die neue Saison rückt näher im Kleingarten in Essen-Kray. „Ab dem 15. Mai, nach den Eisheiligen, geht es richtig los“, sagt Pächterin Hanife Tosmer. Dann wird es nicht mehr lange dauern, bis in ihrem Garten wieder Salate, Spitzpaprika und Auberginen wachsen.
Hanife Tosmer steht für einen Trend, den der Stadtverband der Essener Kleingartenvereine seit einiger Zeit ausmacht. Kleingärten werden wieder vermehrt genutzt, wofür sie ursprünglich einmal bestimmt waren: für den Anbau von Obst und Gemüse. Der ökologische Gedanke, bewusster und gesünder zu leben, spielt eine Rolle. Und in jüngster Zeit wohl auch die steigenden Preise für Lebensmittel. „Wenn man für einen Salat das Doppelte oder Dreifache zahlen muss, dann baut man ihn lieber selber an“, sagt Holger Lemke, Vorsitzender des Stadtverbandes und selbst passionierter Kleingärtner.
Lemke berichtet von einer wachsenden Nachfrage nach Kleingärten. Der Andrang sei so groß, dass Kleingartenvereine niemanden mehr auf ihre Wartelisten aufnehmen, berichtet Lemke. Hanife Tosmer hatte Glück, ihr Mann Ibrahim erfuhr zufällig, dass in der Kleingartenanlage ganz in der Nähe eine Parzelle frei würde. So wurden die Tosmers 2014 Kleingärtner.
Gemüse aus eigenem Anbau schmeckt besser. Nur die Zucchini sind nichts geworden
„Ich wollte es ausprobieren“, erzählt Hanife Tosmer. Bereut hat sie es nicht. Sie genieße es, mit den Händen im Boden zu graben und später den Pflanzen beim Wachsen zuzusehen. „Das macht einfach Spaß.“ Und die Ernte ist ertragreich. „Die Tomaten, die Gurken – alles schmeckt besser“, freut sich die Kleingärtnerin. „Nur die Zucchini sind leider nichts geworden.“
Dabei hatte sie anfangs gar keine Ahnung vom Gärtnern, gesteht Hanife Tosmer. „Mama kennt sich ein bisschen aus.“ Auch ihr Vater packt mit an. „Papa ist 70, aber noch fit.“ Wussten auch ihre Eltern nicht weiter, holte Hanife Tosmer sich Rat bei ihren Gartennachbarn oder in der Fachliteratur. Mittlerweile mag sie ihren Kleingarten nicht mehr missen. Auch wenn die Gartenarbeit viel Zeit kostet. Dessen müsse sich jeder bewusst sein, der sich für eine Parzelle interessiert.
Ein Drittel einer Fläche einer Kleingartenanlage muss bewirtschaftet werden
Es seien junge Familien, nicht selten mit Migrationshintergrund, die ihre Parzellen intensiv bewirtschaften, berichtet Holger Lemke. Die Zeiten, in denen Kleingärten vor allem der Naherholung dienten, sind nicht vorbei. Auch ihre Töchter, 21 und 17 Jahre alt, machten es sich gerne auf der Hollywoodschaukel bequem, erzählt Hanife Tosmer. Aber es scheint sich etwas zu verändern, das Kleingartenwesen erlebt offenbar eine Art Renaissance. Der Stadtverband fördert es mit Bildungsangeboten. „Freizeitgärten möchten wir nicht“, sagt Holger Lemke und freut sich nach eigenen Worten darüber, dass die neue Generation an Laubenpiepern mithilft, die „Drittel-Lösung“ zu erfüllen.
So teuer ist ein Kleingarten
Der Preis eines Kleingartens richtet sich nicht nach Angebot und Nachfrage, betont Essens Stadtverbandsvorsitzender Holger Lemke. Wie viel ein Pächter für seine Parzelle verlangen darf, wird durch einen Wertermittler bestimmt. Letztere werden vom Landesverband für diese Aufgabe geschult, so Lemke. Mit in die Berechnung ein gehen der Zustand der Gartenlaube, die Infrastruktur und der allgemeine Pflegezustand des Gartens. „Da kommen schnell ein paar Tausend Euro zusammen“, weiß der Stadtverbandsvorsitzende. Was die Nachfrage angeht: Ab 5000 Euro aufwärts „wird die Luft dünner“. Kleingärtner zahlen zudem eine jährliche Pacht von 30 Cent pro Quadratmeter Gartenfläche.
Drittel-Lösung? Die Rechtssprechung zum Bundeskleingartengesetz schreibe vor, dass ein Drittel der Fläche für den Anbau von Obst und Gemüse genutzt werden muss, erläutert der Stadtverbandsvorsitzende. Dies sei nicht auf die einzelne Parzelle bezogen, sondern auf eine gesamte Kleingartenanlage. Ein weiteres Drittel des Gartens darf überbaut werden, ein Drittel der Fläche darf der Erholung dienen.
Dahinter steckt ein sozialer Gedanke. Eine junge Familie nutzt ihre Parzelle vor allem, um darauf Salat, Zwiebeln, Erbsen und sonstiges Gemüse anzubauen. So wie es ihr 80-jähriger Nachbar viele Jahre getan hat, der aufgrund seines hohen Alters heute aber dazu nicht mehr in der Lage ist und es ruhiger angeht. Beides ist möglich. So soll es bleiben. Hanife Tosmer und ihre Familie wollen ihren Teil gerne dazu beitragen.