Essen. Essens Kleingartenvereine kapitulieren vor der steigenden Nachfrage nach freien Parzellen. Nun sollen neue Flächen her. Aber wo?

Immer mehr Essenerinnen und Essener wünschen sich einen eigenen Kleingarten. Das Problem: Die Chance eine Parzelle zu bekommen ist derzeit so groß wie ein Sechser im Lotto. Der Stadtverband der Kleingartenvereine verzeichnet einen regelrechten Ansturm von Interessenten. Für die Stadt Essen heißt das: „Es werden mehr Flächen für Kleingärten benötigt“, sagte Umweltdezernentin Simone Raskob anlässlich der Vorstellung des ersten „Essener Kleingartenentwicklungskonzeptes“.

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Es gab Zeiten, da wurde das Kleingartenwesen als spießig belächelt für akkurat geschnittene Hecken und Gartenzwerge vor der Laube. Diese Zeiten sind vorbei. Kleingärten erleben inzwischen eine Renaissance.

Die Corona-Pandemie hat die Nachfrage nach Kleingärten in Essen befeuert

Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen haben ihren Teil dazu beigetragen. Viele Menschen wünschen sich ein Stück Grün zu Erholung, auf das sie sich zurückziehen können.

„Vor der Corona-Krise hatten wir 750 Bewerber für 50 freie Gärten“, berichtet Holger Lemke, Vorsitzender des Stadtverbandes der Kleingartenvereine. Mittlerweile seien es über 3000, die nach einer freien Parzelle anfragen. Die Kleingartenvereine haben ihre Wartelisten inzwischen geschlossen, weil es keinen Sinn mache, weitere Bewerber aufzunehmen, so Lemke. Denn die Fluktuation sei gering, es könne Jahre dauern, bis ein Garten frei wird.

Nicht nur die Pandemie lässt die Nachfrage nach Kleingärten ansteigen. Unter den Kleingärtnern sei eine neue Generation herangewachsen, berichtet Lemke. Es seien häufig junge Familien, die ökologisch denken und bewusst lebten. Menschen, die ihr eigenes Obst und Gemüse anbauen und ernten, statt es in Supermärkten zu kaufen, wo Waren nicht selten Tausende Transportkilometer hinter sich haben, bevor sie in den Regalen landen. Sollten die Lebensmittelpreise weiter steigen, dürfte sich dieser Trend fortsetzen. Davon ist der Vorsitzende des Kleingartenverbandes überzeugt.

Statistisch gesehen, gibt es in Essen 1,5 Kleingärten pro 100 Einwohner

„Dauerhaft werden mehr Flächen benötigt“, sagt Essens Umweltdezernentin Simone Raskob. Wohl wissend, dass Kleingärten in Konkurrenz stehen zu Wohnungen und Gewerbe. Auch dafür werden in Essen Flächen gesucht. Es werde deshalb wohl eher darum gehen, bestehende Kleingartenanlagen, sofern möglich, zu erweitern, so Raskob.

Aktuell gibt es in Essen statistisch gesehen 1,5 Kleingärten pro 100 Einwohner. Detlev Ehmkes, von Grün und Gruga mit der Erstellung des Entwicklungskonzeptes beauftragter Gutachter, empfiehlt der Stadt das Ziel von zwei Kleingärten pro 100 Einwohner anzustreben.

Damit dies in der Politik nicht missverstanden wird, baut der Stadtverband der Kleingartenvereine vor: „Es darf nicht sein, dass man auf die Idee kommt, die Anzahl der Gärten auf den bestehenden Flächen zu erhöhen“, in dem man Parzellen aufteilt, betont Verbandschef Holger Lemke.

Essener Konzept unterstreicht die Bedeutung von Kleingärten für das Stadtklima

Das vorliegende Entwicklungskonzept ist nicht zuletzt entstanden, weil sich der Stadtverband Begehrlichkeiten ausgesetzt sah: Städtische Flächen, die heute von Kleingartenvereinen genutzt werden, könnten perspektivisch auch für den Wohnungsbau genutzt werden. 2016 wandte sich der Kleingartenverband deshalb sogar an den Petitionsausschuss des Landtages. „Wir sahen die Gefahr, dass man die Hand nach uns ausstreckt“, erinnert sich Holger Lemke.

114 Kleingartenvereine mit 9000 Gärten

In Essen bewirtschaften 114 Kleingartenvereine mit unter dem Dach des Stadtverbandes 203 Kleingartenanlagen mit insgesamt 9000 Gärten. Die durchschnittliche Parzelle ist nach Angaben des Verbandes etwa 350 bis 400 groß.

Laut Untersuchung werden Essens Kleingärten von ihren Pächtern zu 90,9 Prozent für allgemeine Gartenarbeit genutzt, zu 84,2 Prozent für den Anbau von Obst und Gemüse sowie zu 80,3 Prozent zur Erholung. Zum Grillen und Feiern dient die Parzelle zu 35,7 Prozent.

Diese Gefahr dürfte gebannt sein. Zwar ist das mehrere hundert Seiten starke Essener Kleingartenentwicklungskonzept vor allem eine detaillierte Bestandsaufnahme. Es unterstreicht aber die Bedeutung des Kleingartenwesens für die Stadt Essen, und das in vielfacher Hinsicht. Beispiele Klima: 86 Prozent der untersuchten Flächen sind bedeutend für das Stadtklima, 57 Prozent für die Versorgung mit Kaltluft.

Das Konzept soll für die Stadt Essen Bestandteil der Freiraumplanung sein, so Simone Raskob. Und es soll als Basis dienen für einen „Kleingartenentwicklungsplan“. Ein weiteres Wortungetüm, das nun mit Leben gefüllt werden will.