Essen-Rüttenscheid. Mirko Sehnke ist Vorsitzender des Essener ADFC. Im Interview spricht er über seine Vorstellungen für die Fahrradstraße in Essen-Rüttenscheid.
Soll es auf der Fahrradstraße Rüttenscheid weitere Einschränkungen für Autofahrerinnen und Autofahrer geben? Mirko Sehnke, Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) Essen, hat dazu eine klare Meinung. Er plädiert dafür, den Durchgangsverkehr auf der „Rü“ drastisch zu reduzieren. Im Interview mit Redakteurin Katrin Böcker spricht er über seine Erwartungen an die Verwaltung und verrät, an welcher Stelle sich auch Radfahrende aus seiner Sicht falsch verhalten.
Die Rüttenscheider Straße hat sich in den vergangenen Jahren zu Essens wichtigster Handel- und Gastromeile entwickelt. Viele Menschen mit unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnissen leben und arbeiten hier. War es die richtige Entscheidung, sie zu einer Fahrradstraße zu machen?
Fakt ist: Die Rüttenscheider Straße ist jetzt schon eine Hauptachse für den Radverkehr und hat eine überdurchschnittliche Nutzung. Der Anteil des Radverkehrs in Essen liegt bei acht bis zehn Prozent, auf der Rüttenscheider Straße ist es deutlich mehr.
Was entgegnen Sie einem Gastronomen oder Händler, der massive Einbußen befürchtet, wenn man ihn mit dem Auto nicht mehr so leicht erreichen kann?
Dass ich das nicht ganz nachvollziehbar finde, weil es nicht mehr dem Zeitgeist entspricht. Man muss nicht mit dem Auto bis vor das Restaurant oder Geschäft fahren. Auf der Rüttenscheider Straße werden keine Waschmaschinen verkauft, sodass man direkt vor der Ladentür halten müsste. Und letztlich bringt es auch die Gastronomie und den Handel nach vorne, wenn die Aufenthaltsqualität steigt. Das tut sie definitiv, wenn weniger Autos unterwegs sind.
Eine Befragung im vergangenen Jahr ergab, dass Radfahrerinnen und Radfahrer von allen Verkehrsteilnehmenden am unzufriedensten mit der Fahrradstraße sind – die ja für sie geschaffen wurde. Woran liegt das?
Die Fahrradstraße ist eine Verschlimmbesserung für den Radfahrer. Früher gab es einen Radweg, der nun weggefallen ist. Dort konnten Radfahrer am Autoverkehr vorbeifahren. Jetzt sollen sie Vorrang auf der Rüttenscheider Straße haben, stehen aber faktisch mehr im Stau.
An welchen Stellen verhalten sich denn die Radfahrenden wiederum falsch?
Manche nutzen immer noch den Gehweg zum Fahren. Das sollte natürlich nicht der Fall sein und wir heißen das nicht gut. Generell sind wir gemeinsam mit dem Verein „Fuss e.V.“ bestrebt, dass keine Konflikte zwischen Fuß- und Radverkehr entstehen.
Sie und andere, darunter die Grünen-Fraktion im Stadtrat und die Mitglieder von Radentscheid Essen, fordern, den Durchgangsverkehr auf der Rüttenscheider Straße zu reduzieren und auf die Alfredstraße zu verlagern. Reden wir hier denn wirklich von Menschen, die weite Strecken zurücklegen, oder nicht vielmehr von Anwohnerinnen und Anwohnern aus Rüttenscheid, die den kürzesten Weg nehmen?
Sicherlich gibt es einen gewissen Anteil an Anwohnerverkehr, der lässt sich aber auch über die Nebenstraßen abwickeln. Die Alfredstraße sollte die Hauptdurchgangsstraße für den generellen Durchgangsverkehr sein.
Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht am zielführendsten, um den Autoverkehr auf der Rüttenscheider Straße zu reduzieren?
Abbiegegebote waren der kleinste gemeinsame Nenner, auf den man sich im Beteiligungsprozess einigen konnte. Das reicht uns nicht, denn ein blaues Schild mit einem Pfeil nimmt kaum jemand wahr. Es müsste schon ein baulicher modaler Filter, also eine richtige Sperre, errichtet werden. Oder man müsste eine gegenläufige Einbahnstraße einrichten, sodass der Durchgangsverkehr nicht komplett durch die Rüttenscheider Straße fahren kann. Stattdessen gäbe es dann zwei Einbahnstraßen – eine vom Hauptbahnhof Richtung Rüttenscheider Stern und eine von Bredeney in Richtung Rüttenscheider Stern –, sodass man gezwungen ist abzubiegen.
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Schwingt bei all den Forderungen nach Einschränkungen auch der Wunsch mit, Autofahrerinnen und Autofahrer dahingehend zu „erziehen“, ihr Fahrzeug lieber stehen zu lassen?
Wir haben ja keinen Erziehungsauftrag – auch wenn wir gerne mal als „Fahrradtaliban“ oder ähnliches bezeichnet werden. Klar ist aber auch: Das gesteckte Ziel, den Anteil des Radverkehrs bis 2035 auf 25 Prozent zu erhöhen, wird nicht vom Himmel fallen. Und es wird nicht zu erreichen sein, ohne dass man dem Autoverkehr etwas wegnimmt. Kritiker bringen gerne das Argument, man dürfe keine Verkehrsart privilegieren. Fakt ist aber, dass der Autoverkehr in den letzten Jahren überprivilegiert wurde.
Die Stadt hat die endgültige Entscheidung über neue Maßnahmen auf der Fahrradstraße noch einmal verschoben und eine neue Kommission eingerichtet. Oberbürgermeister Thomas Kufen soll moderieren. Ist das für Sie nachvollziehbar?
Es ist sehr befremdlich, dass die Verwaltung bis dato offenbar keine eigene Meinung hat. Der ursprüngliche Beschluss zur Einrichtung der Fahrradstraße sagt ja eigentlich ganz klar: Nach einem Jahr wird evaluiert und wenn sich herausstellt, dass der Durchgangsverkehr sich nicht verringert hat, macht die Verwaltung entsprechende Vorschläge. Ich bin allerdings gespannt darauf, wie der OB mit den Ergebnissen umgeht. Er war ja in der Vergangenheit derjenige, der weitere Maßnahmen gekippt hat. Wenn er diesen Prozess aber nun moderiert, wird er das nicht einfach so tun können.
Auch die Wittekindstraße könnte demnächst zur Fahrradstraße umgewidmet werden. Diese Pläne werden von einigen kritisiert, insbesondere, weil sich eine Trasse für den Radverkehr in unmittelbarer Nähe befindet. Was halten Sie von dem Vorhaben?
Die Grugatrasse ist derzeit nicht dafür ausgelegt, als Alltagsnetz zu dienen. Sie soll zwar verbreitert werden, das wird aber noch etwas dauern. Und dann steht ja noch das Bauprojekt auf dem Messeparkplatz an, wo es auch wieder zu Einschränkungen kommen wird. Die Straße ist für das Alltagsnetz besser geeignet. Deshalb halte ich die Pläne für einen guten und wichtigen Lückenschluss.