Essen. Auf dem normalen Rad fühlt sich Ilse Timmer (80) zu unsicher, doch sie hat eine Alternative gefunden. Wie sie jetzt sogar Porsches davonradelt.
Ilse Timmer ist 80 Jahre alt. Nicht auf allen Wegen ist sie gut zu Fuß und vor dem Radfahren hat sie nach zwei Stürzen einen gewaltigen Respekt. Doch vor drei Jahren hat sie eine Möglichkeit gefunden, um ihre Mobilität zu erhalten, ohne auf das Auto angewiesen zu sein. Die Lösung heißt „Liegefahrrad“. Auf ihrem dreirädrigen Gefährt radelt die 80-Jährige nun gern auf der Rüttenscheider Straße den Autos vornweg.
So war es aber nicht immer. „Ich kenne sie eigentlich als eine, die die paar Meter zum Bäcker mit dem Auto fährt“, scherzt Ulrike Friebel (69), die mit Timmer zusammen im Rüttenscheider Beginenhof lebt und das elektrisch betriebene Liegerad aufgrund ihrer Parkinsonerkrankung schon seit zehn Jahren nutzt. Nun ist Timmer von ihrem Fahrrad kaum noch herunterzubekommen. Schlechtes Wetter? „Dann wird man eben nass, außerdem haben wir wunderbare Regencapes“, erzählt die Seniorin fröhlich.
Essenerin über ihr Liegerad: „Im Grunde ist dieses Fahrrad mein Lebenstraum“
Ausflüge mit dem Rad hat Timmer allerdings tatsächlich schon immer gerne gemacht: Egal ob in den Niederlanden oder an der Donau entlang, früher unternahm sie lange Touren. Doch als sie vor dreieinhalb Jahren mehrmals schwer stürzte, bekam sie es mit der Angst zu tun. „Ich bin aufs linke Bein gefallen, hatte dicke Blutergüsse und Prellungen“, erinnert sie sich. „Als wir das nächste Mal auf dem Ruhrradweg in Kettwig fahren wollten, habe ich mich gar nicht mehr getraut aufzusteigen.“
Doch dann kam ihr der Einfall: Warum nicht ein Liegerad anschaffen, wie es ihre Freundin Ulrike Friebel nutzt? Gesagt, getan. In einem Fachgeschäft in Bochum wurden die beiden fündig. „Als ich das erste Mal auf diesem Rad saß, wusste ich sofort: Das ist es“, beschreibt Timmer. „Ich war so glücklich. Im Grunde ist dieses Fahrrad mein Lebenstraum.“
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Nachhaltigkeitsaspekt ist wichtig
Auch der Umweltaspekt spielt für Ilse Timmer und Ulrike Friebel eine Rolle. „Mich macht es sehr glücklich, dass ich das Auto jetzt fast immer stehen lassen kann. Ich überlege schon, es komplett abzuschaffen“, sagt Timmer.
Zum Konzept des Rüttenscheider Beginenhofes, wo die beiden leben, gehört es, möglichst ohne Auto auszukommen. Viele der Bewohnerinnen haben ihren Pkw abgegeben und nutzen beispielsweise Carsharing.
Auf einmal hatte die 80-Jährige nämlich gar keine Angst mehr vor dem Verkehr – auch, wenn sie betont: „Man sollte schon die Regeln kennen und noch einen Führerschein haben.“ Mindestens so komfortabel und bequem wie ein Kleinwagen sei ihr Gefährt, schwärmt Timmer. „Ich mache damit jetzt Ausflüge, fahre zur Physiotherapie und gehe einkaufen. Auf dem Rüttenscheider Markt halte ich vor den Ständen, packe meine Einkäufe in den Fahrradkorb und fahre einfach weiter.“
Billig war die Anschaffung allerdings nicht. Rund 6000 Euro kostet ein Liegerad, wie Timmer es fährt. Bei ihrem Modell handelt es sich um ein elektrisch betriebenes Pedelec, das bis zu 25 km/h fahren kann. Es ist komplett seniorengerecht ausgestattet und hat zum Beispiel Griffe an der Seite, die beim Aufstehen helfen. Liegeräder gibt es mit ganz verschiedenen Equipments. „Ich habe zum Beispiel schon eines für Menschen ohne Arme gesehen, das sich mit dem Kinn lenken ließ“, berichtet Friebel.
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Die beiden Seniorinnen sind regelmäßig auf der Fahrradstraße „Rü“ unterwegs – und zwar bevorzugt mit Mercedes- und Porschefahrern im Rücken. „Wenn die dicken Schlitten rumfahren, fädeln wir uns gerne ein“, bestätigt Friebel mit einem Lachen. Im Gegensatz zu vielen anderen Radfahrerinnen und Radfahrern auf der Rüttenscheider Straße betont Timmer aber gleichzeitig, dass sie noch nie eine schlechte Erfahrung mit Autofahrern gemacht habe: „Die sind immer äußerst höflich und freundlich, bleiben sogar stehen und lassen mich vorbei.“