Essen. Anfangs wollten alle in Essen den Ruhrschnellweg haben, heute gilt die Autobahn als vielleicht größte städtebauliche Wunde. Wie es dazu kam.
Der Auftrieb an Prominenz und Passanten war beachtlich, die Freude in der Stadt groß, eine weibliche Tanzgruppe gab dem Ganzen eine zeittypisch erotisierende Note: Die Einweihung des immerhin ein Kilometer langen Ruhrschnellweg-Tunnels im September 1970 wurde als Großereignis zelebriert und markierte den Endpunkt eines Jahrhundertprojekts, das Essen städtebaulich erheblich und letztlich unumkehrbar veränderte. Die mitten durch die Stadt gepresste Autobahn, die heute das Kürzel A 40 trägt, war damit gebaute Realität.
Wie konnte es zu einem solchen Projekt kommen, das – mit der umweltpolitischen Sensibilität von heute betrachtet – geradezu wahnwitzig wirkt und seit Jahrzehnten mit Abdeckelungen entschärft werden soll? Basis war der Zeitgeist der 1950 bis 1970er Jahre, der der Massenmotorisierung in vielen Städten Tür und Tor öffnete. Das galt besonders für Städte wie Essen, deren kleinteiliges Bild durch die Bomben des Zweiten Weltkriegs bereits stark verändert worden war. Die entstandenen Baulücken machten es einfacher, völlig neue und größere Straßen zu bauen.
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A 40 in Essen musste nicht gegen die Bürger durchgesetzt werden, sie erfreute sich breiter Unterstützung
Keineswegs handelte es sich dabei um Vorhaben, die gegen den Willen der Bevölkerung durchgedrückt werden mussten, im Gegenteil. Politische Entscheider, die Wirtschaft, Verkehrsfachleute in den Verwaltungen und die Bürger waren sich in ihrer großen Mehrheit und über Parteigrenzen hinweg einig, dass dem Auto die Zukunft gehört. Dafür galt es städtebaulich auch Opfer zu bringen, die zunächst gar nicht als solche verstanden wurden.
In Essen gab es deshalb so gut wie keinen Protest, als die Straßenbauer große Teile von Frohnhausen, Holsterhausen, des Südviertels und des Ostviertels in riesige Baugruben zu verwandeln begannen. Man freute sich, künftig hinterm Steuer besser voranzukommen. Und wer (noch) kein Auto besaß, träumte doch vielfach davon, diesen meist als unerfreulich empfundenen Zustand bald zu ändern.
Essener Stadtväter bestanden darauf, die Autobahn nah an den Stadtkern heranzuführen
Obwohl andere Varianten diskutiert wurden, bestanden die Essener Stadtväter sogar darauf, die Autobahn möglichst nah an den Stadtkern heranzuführen, auch um Menschen von außerhalb rasch und bequem in die frisch erblühte „Einkaufsstadt“ zu locken. Dafür war man zum Beispiel auch bereit, den uralten Friedhof am Kettwiger Tor zu opfern, der allerdings tatsächlich mittlerweile etwas unzeitgemäß eingeklemmt zwischen Hauptbahnhof und dem Südviertel lag. Immerhin ging man pietätvoll vor. 1955 war die Umbettung der Toten und ihrer Grabsteine zum Ostfriedhof abgeschlossen.
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Teile der Trasse im Westen der Stadt gab es bereits als zwar nur zweispurige, für damalige Verhältnisse aber schon recht gut ausgebaute Autostraße. Die Reichsstraße 1, später Bundesstraße 1, führte von Aachen ins ostpreußische Königsberg und erschloss dabei auch das komplette Ruhrgebiet, wobei die B1 sich ursprünglich ab der Essener Innenstadt Richtung Steele wendete und von dort auf der uralten Trasse des mittelalterlichen Hellwegs nach Bochum und Dortmund einschwenkte. Für den Ausbau zur Autobahn war der historische Verlauf im Essener Osten auf der Steeler Straße allerdings schon aus topographischen Gründen gänzlich ungeeignet.
Einen Teil der notwendigen Abrisse hatte der Bombenkrieg bereits erledigt
Im Essener Westen aber, dort wo seit nun fast 40 Jahren ohne Ergebnis der Deckel diskutiert wird, schien eine Autobahn machbar – wenn auch nur mit großem Aufwand. Einen Teil der notwendigen Gebäudeabrisse hatte der Bombenkrieg bereits „erledigt“. Andere Häuser, die noch im Wege standen, wurden aufgekauft, entmietet und abgerissen.
Um den Stadtorganismus zwischen Frohnhausen und Holsterhausen – immerhin die dichtest besiedelten Teile Essens – nicht vollends auseinanderzureißen, wurde die spätere A40 in Tieflage gebaut. So ließ sich mit einigen Brücken auf der Nullebene der Schneisen-Charakter der Autobahn etwas abmildern. Und dank der Tieflage ist heute ein Abdeckelung überhaupt nur möglich.
Deutschlandweit eines des schwierigsten Projekte dieser Art
Die Stadtautobahn in Essen dürfte eines der deutschlandweit schwierigsten Projekte dieser Art gewesen sein, was Tatkraft und Phantasie der Straßenbauingenieure aber nur herausforderte. Neben der Autobahn selbst mussten ja noch möglichst viele Auf- und Abfahrten in die Stadtlandschaft integriert werden, da der rein verkehrliche Wert für Essen sonst gering gewesen wäre. Zu guter Letzt galt es auch noch die Straßenbahn, später U-Stadtbahn und Spurbus unterzubringen.
Östlich vom Hauptbahnhof und im Ostviertel lässt sich erkennen, dass die Ingenieure hier mit nicht geringer Brutalität vorgingen, um die gigantische Schneise irgendwie möglich zu machen. Denn der 1963 für den Verkehr freigegebene Westteil der Autobahn konnte ja nur der Anfang sein, der Anschluss Richtung Bochum-Wattenscheid war das Ziel.
Ab Mitte der 1960er Jahre wurden deshalb die Helbingbrücken am Hauptbahnhof gebaut, die enorm viel Stadtraum verschlangen. Und auch im Ostviertel fielen Parks und etliche Häuser der Autobahn zum Opfer. Laut einem Bericht des Bundesverkehrsministeriums gingen zwischen Frohnhausen und dem Ostviertel insgesamt rund 800 Wohnungen verloren, wobei Grunderwerb und die Beschaffung von Ersatzwohnraum „besondere Schwierigkeiten“ bereitet habe.
Der Abschnitt zwischen Frillendorf und der Stadtgrenze östlich von Kray war wegen des dort offeneren Stadtraums weniger schwierig und wurde bereits 1961 für den Verkehr freigegeben. Allerdings erforderte der Durchbruch in Kray ebenfalls den Abriss einzelner Wohnhäuser.
Den Preis für dieses Jahrhundertbauwerk zahlten zigtausende Essener, die nach der schrittweisen Freigabe Abgasen und starkem Lärm ausgesetzt waren – Nachteile, die aber eben als nebensächlich galten, bis der Zeitgeist sich drehte und Umweltfragen wichtiger wurden. Viele, die es sich leisten konnten, zogen weg – auch die sozialen Folgen für die betroffenen Viertel waren und sind beträchtlich.
Und selbst der 1970 eingeweihte Tunnel an der Innenstadt hatte keineswegs den Zweck, die Umweltfolgen der Autobahn für die Wohnbevölkerung zu mildern, sondern den Verkehr besser fließen zu lassen. Die durch den Tunnel entlasteten Straßen waren fast ausnahmslos solche mit Bürogebäuden.
So ist der Deckel der Versuch, wenigstens ein kleines Stück Stadtreparatur zu betreiben. Ob das nun endlich in den nächsten Jahrzehnten gelingt, ist offen. Aber selbst wenn: Für den Großteil der Essener A 40-Nachbarn bleibt mit ziemlicher Sicherheit alles beim Alten. Die Autobahn in voller Länge in Essen einzuhausen dürfte technisch und finanziell vollkommen unmöglich sein und wurde auch noch nie gefordert.
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