Essen. Zu viel Systemgastronomie, zu wenig Aufenthaltsqualität… Wie sich das in der Essener Innenstadt in naher Zukunft ändern soll.
Kaum eine Branche hat unter Corona so sehr gelitten wie die Gastronomie. Kneipen und Restaurants mussten vorübergehend schließen. Für viele Betreiber ging es ums Überleben und darum, „den eigenen Laden am Laufen zu haben“, weiß Richard Röhrhoff. „Wenn Sie mit Gastronomen gesprochen haben, dann hatten die alles andere im Kopf, nur keine Expansion.“
Dennoch sieht der Geschäftsführer der Essen Marketing Gesellschaft (EMG) gute Chancen dafür, dass sich in naher Zukunft neue Gastronomiebetriebe in der Innenstadt ansiedeln, um diese zu beleben.
Röhrhoff schöpft seinen Optimismus aus dem Zwischenbericht der Progacon/Fun Concept GmbH für ein Gastronomiekonzept. Zur Erinnerung: Die EMG hatte den externen Projektentwickler, der sich auf die Wiederbelebung schwieriger Standorte spezialisiert hat, im Frühjahr vergangenen Jahres beauftragt, ein solches Konzept für die Essener Innenstadt zu entwerfen.
Gutachten: In Essens Innenstadt gibt es zu viel Systemgastronomie
In ihrem Zwischenbericht beschreibt Progacon wohl Vertrautes. Die Auslastung der vorhandenen Gastronomiebetriebe sei gering, vor allem am Abend, wenn nur noch wenig los ist in der Innenstadt. Eine Ausnahme sei der Kennedyplatz. Letzteren stuft der Gutachter als relevant für das gastronomische Leben in der Innenstadt ein – neben der Viehofer Straße, dem Viehofer Platz, dem Salzmarkt und dem Hirschlandplatz, wo es nach dem Aus von Vapiano allerdings sehr still geworden ist.
Apropos Systemgastronomie: Davon gibt es in der Essener City zu viel, erwünscht seien mehr individuelle Angebote, mit einer eigenen und unverwechselbaren Note. Was das angeht, warnt der EMG-Chef vor zu hohen Erwartungen: „Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, das wir viel mehr Inhaber geführte Gastronomiebetriebe sehen werden.“
Das Image der Essener Innenstadt verbessert sich mit der Entfernung
Beklagt wird einmal mehr eine mangelnde Aufenthaltsqualität, „die mit einer kühlen und nicht einladenden Atmosphäre einhergeht“, wie es in dem Bericht heißt. Das Image der Innenstadt sei schlecht, darunter leide die Gastronomie. Bemerkenswert: „Je weiter wir aus Essen rauskommen, desto besser wird das Image“, berichtet Röhrhoff, der sehr wohl die Chance sieht, Gastronomie-Anbieter von außerhalb nach Essen zu locken.
Den Schlüssel dafür sieht der EMG-Geschäftsführer in der zentralen Lage der Stadt und der guten Erreichbarkeit, „die wir zu wenig vermarktet haben“, wie Röhrhoff selbstkritisch einräumt. Das soll sich ändern.
Der Gutachter formuliert weitere Hausaufgaben: Ein Sicherheitskonzept gehört dazu und mehr Flächen für Außengastronomie. Bei den Immobilieneigentümern gelte es Türen zu öffnen, damit diese auch Gastronomen ins Haus lassen. Nur: „Sie können nicht einfach aus einem Ladenlokal eine Kneipe machen“, weiß Röhrhoff.
In der Nähe des Hauptbahnhofs braucht Essen laut EMG einen „Blockbuster“
Es wird also auch darum gehen, die passenden Immobilien zu finden. Genügend Raum für „experimentelle Konzepte“, die vor allem ein jüngeres Publikum ansprechen, sieht Röhrhoff in der nördlichen Innenstadt auch durch die Nähe zur Universität. Die Idee ist nicht neu, ist aber über Ansätze bislang nicht hinausgekommen.
Im Süden der Innenstadt, also rund um den Hauptbahnhof brauche es dagegen den „großen Blockbuster“, so Röhrhoff. Gemeint ist Gastronomie, die über die Stadt hinaus ausstrahlt und Gäste aus Bochum, Dortmund oder Düsseldorf anlocke. Wer die längste der Theke der Welt verlässt, um sich auf den Weg nach Essen zu machen, dem wird man etwas bieten müssen.
Was folgt auf die Einkaufsstadt?
Der Rat der Stadt hat für das Gastronomiekonzept 35.000 Euro zur Verfügung gestellt. Die Essen Marketing Gesellschaft (EMG) hat diese Summe erhöht auf einen „mittleren fünfstelligen Betrag“. Anlass für die Erstellung eines Gastronomiekonzeptes war die Analyse des Rheingold-Instituts. Das Institut hat der Stadt Essen dringend empfohlen, die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt zu verbessern und das Thema „Gastronomie“ zu forcieren. Hintergrund: Essen hat seinen Ruf als „Einkaufsstadt“ des Ruhrgebiets eingebüßt und sucht nach neuen Wegen, die Innenstadt zu beleben.
Bis zu den Sommerferien soll Progacon eine detaillierte Analyse vorlegen und Aussagen treffen, über den Willy-Brandt-Platz und die Rathenaustraße, über den Hirschlandplatz und den Theaterplatz sowie über die Viehoferstraße und den Flachsmarkt. Der Gutachter soll Immobilieneigentümer und Gastronomieanbieter zusammenbringen. „Im Hintergrund gibt es sehr gute Gespräche mit Gastronomen, die Interesse haben“, sagt Röhrhoff, ohne Namen zu nennen.
Der Zwischenbericht klingt nach Wilder Westen, wenn es dort heißt: „Es muss mutige Pioniere geben, die an den Erfolg des Standorts glauben.“