Essen. Mit Mittelständlern als Partner für die Digitalisierung will die Stadt den Telekom-Platzhirschen den Schneid abkaufen. Investoren stehen parat.

Wenn’s ums schnelle Internet geht, steht die Stadt seit Jahren auf der Leitung: Glasfaser-Anschlüsse zwischen Karnap und Kettwig sind nach wie vor eher die Ausnahme als die Regel, die Quote liegt bei mageren sechs Prozent. Eine Misere, die der Stadt jetzt aber womöglich zum Vorteil gereicht, denn hier gibt’s beim Update auf die digitale Welt noch richtig was zu verdienen. Unter dem Firmennamen „ruhrfibre“ ist deshalb ein neuer Anlauf geplant: Bis Anfang 2025 sollen in Essen 153.000 Anschlüsse ans Hochgeschwindigkeits-Netz andocken.

Ein Kraftakt, auch ein finanzieller: Die Kosten des Vorhabens werden mit rund 180 Millionen Euro veranschlagt, und bevor die Bürgerinnen und Bürger darüber in Schnappatmung verfallen, beeilt sich die Stadt mit der ausdrücklichen Zusicherung, sie wolle nur zu einem Bruchteil selbst mit ins Risiko gehen: eine Million Euro, mehr schießt sie nicht zu.

„Der Markt funktioniert so nicht“, seufzt Stadtkämmerer Gerhard Grabenkamp

Denn zu gut ist das finanzielle Desaster jenes ersten Anlaufs im Hinterkopf, mit dem die Stadt ein „Essen.net“ knüpfen wollte. Kaum waren dort die ersten Maschen beisammen, verhedderte man sich in allzu ehrgeizigen Plänen, mit denen weder die Ausbaugeschwindigkeit noch die Vermarktung Schritt halten konnten. Am Ende stand ein Minus in zweistelliger Millionen-Höhe – und die bittere Erkenntnis, dass man das Feld lieber anderen im Markt überlassen sollte.

Ruhrmetropole Essen – beim Glasfaser ein Dorf

Das darf ja nicht sein, findet Telekom-Experte Arndt F. Rautenberg, „dass in zwei, drei Jahren in Baden-Württemberg jeder Bauernhof einen Glasfaser-Anschluss hat“ – und an Essens Rü stockt derweil der Empfang.So aber sieht’s derzeit wohl aus: Schnelles Internet ist derzeit nur für etwa sechs Prozent der Essener Privathaushalte und für acht Prozent der gewerblichen Nutzer verfügbar. Zum Vergleich: Bottrop liegt bei 30 bis 35 Prozent, Gelsenkirchen noch einmal fast zehn Prozentpunkte darüber.Schon die erste Stufe des „ruhrfibre“-Projekts würde die Anschlussquote in Essen binnen drei Jahren vervielfachen. Eine zweite und dritte Ausbaustufe sind geplant.

Allein: „Der Markt funktioniert so nicht“, seufzt Stadtkämmerer Gerhard Grabenkamp, die Dickschiffe der Telekommunikations-Branche wähnt die Stadt beim Netzausbau nicht auf der Hochgeschwindigkeits-Trasse, sondern im Bummelzug. „Rosinenpickerei“ lautet der unverhohlene Vorwurf, und deshalb hat man sich nach einigen Vorüberlegungen nun endgültig dafür entschieden, mit einem mittelständischen Unternehmen eines der größten Infrastruktur-Projekte der letzten Jahre anzugehen, der Rautenberg & Company GmbH.

Auf neue Zusagen der Deutschen Telekom mag man in der Stadtverwaltung nicht bauen

Gründer und einer von drei Geschäftsführern ist dort Arndt F. Rautenberg (53), in Essen aufgewachsener Diplom-Kaufmann und selbst einst Strategie-Chef der Deutschen Telekom. Vor acht Jahren machte er sich mit einem Beratungsunternehmen selbstständig und schickt sich – wenn die hiesige Politik ihn lässt – nun an, seinem ehemaligen Arbeitgeber in Bonn den Rang abzulaufen.

Dort reagierte man etwas schmallippig, als die Stadt im November vergangenen Jahres ihre ehrgeizigen Netz-Ausbaupläne mit Rautenberg und Co. erstmals präsentierte. Was folgte, war eine Absichtserklärung der Deutschen Telekom, den Ausbau zu forcieren, aber die biete, so sagen Eingeweihte, letztlich mehr Prosa als belastbare Zusagen.

Gemeinsam mit zwei seiner drei Söhne treibr Arndt F. Rautenberg das Glasfaser-Projekt in Essen voran. Der 53-jährige ehemalige Strategie-Chef der Deutschen Telekom ist in Essen aufgewachsen.
Gemeinsam mit zwei seiner drei Söhne treibr Arndt F. Rautenberg das Glasfaser-Projekt in Essen voran. Der 53-jährige ehemalige Strategie-Chef der Deutschen Telekom ist in Essen aufgewachsen. © Sergej Lepke / WAZ Fotopool | Sergej Lepke

Gleich sechs Firmen wollen das Netz mitfinanzieren, den Zuschlag bekommt nur eine

Rautenberg dagegen formuliert offenbar verbindlicher und hat das damals vorgestellte Grobkonzept jetzt abschlussreif durchgearbeitet: Bis Ende 2024, Anfang 2025 will er in 17 ausgeguckten Stadtgebieten Glasfaserkabel bis ins Haus legen, das wären 46.000 sogenannte Adresspunkte, und profitieren würden 153.000 von insgesamt 332.000 Haushalten in der Stadt. Auch wenn mancherorts Leerrohre oder U-Bahn-Tunnel genutzt werden könnten und oft nur Gehwegplatten aufgenommen werden müssen, um das Kabel in 60 bis 80 Zentimeter Tiefe zu verlegen – es bleibt ein ehrgeiziges Unterfangen von insgesamt 200 Kilometern Leitungsstrecke. Nicht zuletzt deshalb soll auch ein Tiefbauunternehmen als Partner gewonnen werden.

An Geld mangelt es dagegen nicht: Nach ersten Präsentationen des Konzepts bei verschiedenen Infrastruktur-Investoren habe er „von sechs Firmen Geld angetragen bekommen“, freut sich Arndt Rautenberg. Für ihn Beweis dafür, mit der Marktanalyse ebenso richtig zu liegen wie mit den Rendite-Erwartungen. Den Zuschlag soll in dieser ersten Ausbaustufe nur ein Geldgeber bekommen, der um die 90 Millionen Euro auf den Tisch wird legen müssen. Die andere Hälfte sollen Banken als Kreditgeber beisteuern.

Der Stadt geht es um „ein Stück Daseinsvorsorge“ – und nicht darum, Geld zu verdienen

Und die Stadt? Beschränkt ihr Risiko in der Netz-Besitzgesellschaft auf besagte Million, lässt sich aber gleichwohl ein Mitspracherecht einräumen, wenn es um die Ausbau-Reihenfolge der 17 Stadtgebiete geht: Zu den Sortier-Kriterien gehören etwa der Grad der Unterversorgung mit schnellem Internet, die soziale Struktur eines Quartiers, die Ausbaustrategien der Wettbewerber, aber auch die Frage, wo sich die Verlegungsarbeiten mit ohnehin geplanten Baustellen verknüpfen lassen.

Antreiber nicht Betreiber will man sein, und über allem schwebt der Begriff der „Stadtgerechtigkeit“: „Wir wollen weder ein Nord- noch ein Südnetz bauen“, sagt Grabenkamp, und „kommunales Ziel ist auch nicht, viel Geld zu verdienen“, sondern die Stadt „schnell und flächendeckend“ an die Zukunft anzuschließen. „Das ist ein Stück Daseinsvorsorge“, betont der Kämmerer.

Die Stadtverwaltung will bei den Genehmigungen nicht selbst auf der Leitung stehen

Und für die nimmt sich die Stadt auch selbst in die Pflicht, weil man ja nicht erst den Netzausbau fordern und dann selber auf der Genehmigungsleitung stehen kann, wie Jochen Sander von der Geschäftsführung der städtischen Versorgungs- und Verkehrsgesellschaft EVV einwirft: Gefragt sei ein gutes Zusammenspiel der drei im Wesentlichen beteiligten Stadtämter und im Zweifel auch eine personelle Verstärkung, damit diese bei 50.000 angeschlossenen Haushalten pro Jahr nicht im Papierstau stecken bleiben.

Wer Essens Glasfasernetz am Ende zum Leuchten bringt, ist noch nicht raus. Zwar soll von Beginn an ein Internet Service Provider mitmischen, der Betrieb aber letztlich „diskriminierungsfrei“ laufen, was bedeutet: Wer immer die Infrastruktur nutzen will, kann dies gegen Gebühr auch tun. Rautenberg favorisiert dabei das Bild von der „Datenautobahn, die wir bauen, aber wir werden keine Busunternehmer und schon gar keine Reiseveranstalter“.

„Es ist nicht unser Ziel, die Deutsche Telekom aus der Stadt herauszuhalten“

Und deshalb darf die Glasfaser von „ruhrfibre“ auch gern in Magenta leuchten: „Es ist nicht unser Ziel, die Deutsche Telekom aus der Stadt herauszuhalten“, sagt Rautenberg, „das wäre weder möglich noch angemessen“. Zugleich wolle man sich auch keinen Häuserkampf mit der Telekom um bestimmte Ausbaugebiete liefern: Dass der Bonner Konzern am einen Ende und „ruhrfibre“ am anderen Ende der Straße die Glasfaserkabel verlegt, gelte es zu vermeiden, schließlich muss sich die Sache auch rechnen. Jeder dritte Anlieger muss sich anschließen, dann sprudeln nicht nur die Daten – sondern auch der Gewinn.