Essen. Das zur Hälfte stadteigene Glasfasernetz von “essen.net“ sollte den Einstieg in einen Zukunftsmarkt bedeuten – und wurde zum wirtschaftlichen Debakel.

Peter Schäfer spürt dem letzten bisschen Aufmunterung in einem Heuhaufen voller Hiobsbotschaften nach. Und siehe da, er wird auch fündig: zeigt auf das an die Leinwand projizierte Foto eines leuchtenden Glasfaser-Bündels, das die Dynamik digitaler Segnungen verheißt, und setzt ein süß-saures Lächeln auf: Immerhin, sagt er dann tröstend, „es gibt ein gelungenes Logo.“

Tja, Galgenhumor, was bleibt ihm auch anderes übrig? Der Chef der Stadtwerke und der städtischen Verkehrs- und Versorgungsholding EVV soll an diesem Nachmittag der versammelten Politik im Finanzausschuss eine schwierige Erklärung liefern: Wie es hat kommen können, dass das Zwölf-Millionen-Euro-Investment in den Zukunftsmarkt eines Glasfasernetzes für Essens Telekom-Infrastruktur zu einem veritablen wirtschaftlichen Debakel geriet. Die Stadt, verheddert im „essen.net“.

Ein finanzielles Desaster

Ein finanzielles Desaster für die ohnehin schon gebeutelte EVV, bei dem der Großteil des investierten Geldes wohl futsch ist – auf städtischer Seite immerhin rund sechs Millionen Euro – und wo der Wert dessen, was da in zwei der 50 Stadtteile verbuddelt wurde, auf gerade mal noch 900.000 Euro taxiert wird. Schäfer redet nicht drum herum, sondern rechnet schonungslos ab. Er kann sich das erlauben und verrät auch gleich, warum: „Ich sitze hier nur so entspannt, weil ich seinerzeit nicht dabei war.“

Das unterscheidet ihn von den wenig amüsierten Politikern, die im guten Glauben an ein lohnendes Geschäft für die Stadt anno 2009 den Startschuss für „essen.net“ gaben. Und die – mit Ausnahme von FDP, Linken und EBB, denn die waren von Anfang an dagegen – sechs Jahre später ziemlich bedröppelt registrieren müssen: So ziemlich alle Voraussagen von einst sind in die Hose gegangen.

Zielmarke: 50 Prozent in fünf Jahren

Dabei wollte man doch selber das große Geschäft machen und hatte für „essen.net“ die Zukunft des Geschäfts in den rosigsten Farben gemalt: Binnen fünf Jahren bis 2013 sollten 164.400 Essener Haushalte in 18 Stadtteilen per Glasfaser erschlossen sein, eine Abdeckung des Stadtgebiets von 56 Prozent. Entsprechend schossen nach einer Phase einkalkulierter Anlaufverluste im ehrgeizigen Business-Plan auch die Zahlen in die Höhe. Doch wo auf geduldigem Papier für 2013 ein Jahresüberschuss von fast 3,2 Millionen Euro eingeplant war, musste das „essen.net“-Netz um knapp zehn Millionen Euro wertberichtigt werden.

Das Glasfasernetz zu verlegen, wurde deutlich teurer und dauerte viel länger als geplant; die versprochenen Synergien bei der Nutzung vorhandener Leerrohre der Stadtwerke wurden völlig überschätzt; die Banken verweigerten Kredite, weil keine Ausfallbürgschaften vorlagen; und der private Partner Vitronet scheiterte auf ganzer Linie mit seinem Plan, Nutzer für das Netz zu finden.

Das Netz gehört nun der Stadt allein

Und jetzt? Liegt in Frohnhausen und in Teilen Huttrops ein Glasfasernetz im Boden, das zwar irgendwie die Tür zur Zukunft aufstößt – aber bislang kein Unternehmen weit und breit, das durch diese Tür gehen will. Für 500.000 Euro hat die Stadt ihrem privaten Partner Vitronet dennoch dessen Gesellschaftsanteile abgekauft, um freier schalten und walten zu können. Das Netz gehört nun also der Stadt allein, die derzeit mit drei ernsthaften Interessenten verhandelt. Ob was draus wird, bleibt offen.

Hätte man die Pleite ahnen können, ja müssen? Nicht unbedingt, sagt Schäfer, der einst von Eon-Ruhrgas an die Stadtwerke-Spitze wechselte und seit Februar „essen.net“ führt: „Ich bin mir nicht sicher, ob man 2009 hätte erkennen können, dass alles so schief geht, wie es dann schief gegangen ist.“

Ja, vielleicht hätte man die Marktanalysen intensiver betreiben müssen. Vielleicht hätte man den Abbruch der Verhandlungen mit der Deutschen Telekom nicht riskieren sollen: „Da wurde deren Marktmacht sicher unterschätzt.“ Und, ja, es war wohl auch falsch, betont Schäfer heute, dass weder die Stadt noch ihr privater Partner über ausreichende Expertise auf diesem Geschäftsfeld verfügte. Schärfer formuliert könnte man auch sagen: Sie wussten nicht wirklich, was sie da tun.

Debatte im Finanzausschuss

Kann man wem einen Strick daraus drehen? Müssen da bei den Beteiligten „die Alarmglocken geschrillt haben“, wie Michael Stelzer von der SPD zu bedenken gibt? Sollte die Stadt, wie Ratsherr Menno Aden findet, Schadensersatzansprüche gegen Ex-Geschäftsführer oder -Aufsichtsräte prüfen? Oder gilt, was Jörg Uhlenbruch von der CDU formuliert: dass man solche Reflexe nicht bedienen sollte, weil unternehmerischen Aktivitäten nunmal immer ein Risiko innewohnt und auch städtische Unternehmen nicht vor Fehlentscheidungen gefeit sind?

Die Suche nach Schuldigen und wie man sie irgendwie zur Rechenschaft ziehen könnte, sie blieb im Finanzausschuss am Ende offen.

Und wie gesagt, das Logo ist ja wirklich cool.