Essen-Werden. Ist der Dachbodenfund noch zu gebrauchen? Wer war der Maler und wie viel ist das Gemälde wert? So läuft eine „Kunstsprechstunde“ mit Experten ab.

„Irgendwann muss man die alten Sachen halt mal aufräumen“, sagt Siegfried Nolte mit einem Lachen und nimmt am Tisch Platz. Aus Bergerhausen ist er ins Bürgermeisterhaus Werden gekommen, hat gleich mehrere Dachbodenfunde aus dem elterlichen Nachlass mitgebracht. In der Kunstsprechstunde von Silke Köhn und Oliver Gradel erhofft er Aufklärung über deren Wert. Und er ist nicht der Einzige: Im Flur der historischen Villa bildet sich an diesem Vormittag schnell eine Schlange.

Ob es einfach dem anbrechenden Frühjahr geschuldet ist, das zum Ausmisten von Schränken animiert, oder die Menschen sich angesichts der Pandemielage mehr ums Einrichten der Wohnung und damit naturgemäß ums Abstoßen alten Bestands kümmern, das sei dahingestellt. Fakt ist, die Porzellanfigur aus dem Nachlass der Tante oder Onkels Lieblingsgemälde einfach in den Müll befördern, das möchte keiner.

Statt „Bares für Rares“ gibt es eine fundierte Begutachtung

Kunsthistoriker Oliver Gradel ist auf der Suche nach dem Maler. Oft ist die Signatur des Künstlers auf dunklen Gemälden schwer zu entziffern.
Kunsthistoriker Oliver Gradel ist auf der Suche nach dem Maler. Oft ist die Signatur des Künstlers auf dunklen Gemälden schwer zu entziffern. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Ich habe die Gemälde im Schlafzimmer meiner Mutter gefunden. In einem Spalt neben Schrank und Wand“, erzählt Kerstin Zielke. Ein Zufallsfund, „ich kannte die gar nicht“, gesteht die Freisenbrucherin. Ob sie die Ölmalereien mit niederländischen Motiven behalten oder verkaufen wird, weiß sie noch nicht. Im Bürgermeisterhaus gibt es jedenfalls im Gegensatz zur Trödel-Show mit Horst Lichter kein „Bares für Rares“, dafür aber fundierte Hintergrundinformationen und eine Einschätzung, was der Gegenstand auf dem Kunstmarkt bringen könnte.

Kunst-und-Krempel-Sendungen seien in den 2000er Jahren ja wie Pilze aus dem Boden geschossen, berichten Silke Köhn und Oliver Gradel. „Die haben aber nichts mit dem zu tun, was wir machen“, betont Silke Köhn. Die promovierten Kunsthistoriker bieten seit 2005 regelmäßig in verschiedenen Städten in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen „Kunstsprechstunden“ an, zu denen Privatleute Gemälde, Skulpturen, Silber, Porzellan oder Glas mitbringen können. „Wir kaufen nichts an, sondern geben nur Hinweise. Wir sehen uns da als neutrale Stelle.“ Die Begutachtung von drei Gegenständen ist kostenfrei, wer mehr wissen möchte, kann dies gegen eine Gebühr in Auftrag geben.

Zum Handwerkszeug gehören Lupe und Laptop

Eine beschauliche Landschaft mit Schafen zeigt ein im 17. Jahrhundert entstandenes Gemälde. Erst im Licht werden die unter dunklem Firnis verborgenen Details sichtbar.
Eine beschauliche Landschaft mit Schafen zeigt ein im 17. Jahrhundert entstandenes Gemälde. Erst im Licht werden die unter dunklem Firnis verborgenen Details sichtbar. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Im Werdener Bürgermeisterhaus sind die Kunsthistoriker ein- bis zweimal im Jahr. 15 bis 20 Minuten nehmen sie sich im Schnitt Zeit für jeden angemeldeten Besucher. Zum Handwerkszeug gehören Lupe und Laptop. Ist mit dem Vergrößerungsglas auf einem Gemälde der Name des Malers identifiziert, wird in den Auktionslisten nach dem Verkehrswert gesucht. Wie oft sind Werke des Künstlers in den letzten Jahren unter den Hammer gekommen? Welche Preise wurden erzielt? Untersucht wird darüber hinaus die Beschaffenheit des Kunstwerkes und sein Zustand. Neben der Frage nach dem Wert spielt ebenso die Frage des weiteren Verfahrens eine Rolle, denn die Dachbodenfunde haben zumeist schon einiges hinter sich. Lohnt sich da eine Säuberung oder gar eine Restaurierung?

Drei Objekte kostenfrei

Die „Kunstsprechstunden“ von Silke Köhn und Oliver Gradel finden in verschiedenen NRW-Städten statt. Infos und Anmeldung auf www.kunstdienstleistungen.de.

Mitgebracht werden können Objekte aus den Sachgebieten Gemälde, Zeichnungen, Druckgrafik, Porzellan, Keramik, Silber, Metall und Glas. Es werden drei Sachen begutachtet.

Das diskutieren die Kunsthistoriker zum Beispiel mit Irene und Peter Jenderek, die mehrere Bilder aus dem Besitz ihres Vaters mitgebracht haben. Eine Stadtansicht von Wesel am Niederrhein („die hat mein Vater von seinem Patenonkel bekommen“) weist schon Stockflecken auf und wird von Silke Köhn als nicht mehr zu retten diagnostiziert. „Diese Flecken auf dem Papier entstehen, wenn das Bild an einer Außenwand gehangen hat, durch die Kältebrücke“, erklärt Oliver Gradel, hier sei einzig der Rahmen noch von Wert. Ein äußerst dunkles Ölgemälde ist dagegen Gegenstand längerer Betrachtung. Gradel hat es einem niederländischen Maler aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zugeordnet. Es zeigt eine beschauliche Landschaft mit Schafen.

Den Markt für beliebte Sammlerstücke genau beobachten

„Ein beliebtes Motiv, das auf die italienische Landschaftsmalerei anspielt und das Ruhe ausstrahlt in einer politisch sehr unruhigen Zeit damals. Der 30-jährige Krieg war gerade vorbei“, ergänzt Silke Köhn die Ausführungen ihres Kollegen. Während dieser eine Abtragung des Firnis, also des Schutzanstrichs, der sich im Laufe der Jahrzehnte dunkel verfärbt hat, befürwortet, ist Silke Köhn dagegen. Die Farbe sei durch eine vorhergehende Firnis-Behandlung schon dermaßen dünn, dass Schäden zu befürchten seien. Für das Ehepaar aus Schuir ist nach einigem Überlegen klar: „Wir lassen es lieber so.“ Man habe schon vorher eine entsprechende Beleuchtung installiert, „da kommt das Bild gut zur Geltung“, findet Peter Jenderek.

Siegfried Nolte wird die beiden Drucke, die er im elterlichen Haus auf dem Dachboden gefunden hat, dagegen eher nicht aufhängen. Ein Verkauf würde allerdings auch nicht viel bringen. Für die Meerschaumpfeife jedoch, deren Herstellung der Kunsthistoriker im 19. Jahrhundert einordnet, könnten Liebhaber um die 70, 80 Euro zahlen. „Die Köpfe waren austauschbar“, erläutert Oliver Gradel. Oft habe ein Pfeifenraucher 15 bis 20 davon besessen. „Heute sind sie beliebte Sammlerstücke.“

Porzellan trägt immer den Stempel des Herstellers

Oliver Gradel untersucht Porzellan der Manufaktur KPM. Die Gärtnerfigur entstand nach alten Vorbildern des Rokoko Anfang des 20. Jahrhunderts und wurde seriell produziert, in diesem Fall ohne Kolorierung.
Oliver Gradel untersucht Porzellan der Manufaktur KPM. Die Gärtnerfigur entstand nach alten Vorbildern des Rokoko Anfang des 20. Jahrhunderts und wurde seriell produziert, in diesem Fall ohne Kolorierung. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Porzellan gehört ebenfalls zu den Sammelobjekten. Ob Tassen, Teller, Kannen oder Vasen, sind sie nicht nur hübsch anzusehen und unversehrt, sondern kommen zudem aus renommierten Produktionsstätten, können sie auf Auktionen auch dreistellige Summen erzielen. Anhaltspunkte können dabei Stempel am Boden des Porzellans liefern, so Gradel. Hier seien auch scheinbar kleine Details wichtig. So habe etwa die Königliche Porzellan-Manufaktur (KPM) aus Berlin von eigenen Künstlern bemalte Figuren mit einem weiteren Firmen-Stempel versehen, bei andernorts erfolgten Kolorierungen gebe es diesen nicht.

Das Internet böte heute viele Möglichkeiten der Recherche, sagen die Kunsthistoriker. „Aber auch viele Scharlatane, die nicht am Pelz der Oma interessiert sind, sondern nur den Goldschmuck haben wollen“, warnt Silke Köhn vor vermeintlichen Lockangeboten. Wer sich unsicher sei, ob der Familienschatz tatsächlich einer sei, sollte sich lieber fachkundig beraten lassen.