Brigitte P. ist ein wenig aufgeregt. Die 79-Jährige sitzt im Wartezimmer der Kunstsprechstunde, neben sich ein sorgfältig eingepacktes Bild. „Das habe ich 1957 in einer bekannten Essener Galerie für meinen Mann zu Weihnachten gekauft.“ Fast ein Jahr lang hatte die pensionierte Krankenschwester dafür gespart. „380 Mark habe ich bezahlt, das war damals viel Geld.“ Jetzt möchte sie wissen, ob sich die Investition in den „unbekannten jungen Künstler“ gelohnt hat.

Sorgfältig begutachten Silke Köhn und Oliver Gradel das Aquarell, das eine Straßenszene in Paris darstellt, forschen in der Datenbank nach dem Künstler. Die beiden Kunsthistoriker aus Beverungen bieten seit zehn Jahren ihren Service an, sind in ganz NRW unterwegs. Nicht zum ersten Mal halten sie ihre Sprechstunde im Bürgermeisterhaus ab und beraten Bürger, die mit Gemälden, Porzellan, Silber oder Glas zu ihnen kommen. „Meist sind es ältere Menschen, die wissen wollen, ob sie vielleicht etwas zu vererben haben. Oder die die Angst umtreibt, dass etwas Wertvolles nicht erkannt wird und nach dem Umzug ins Altenheim oder ihrem Tod auf dem Sperrmüll landet“, erzählt Silke Köhn und wendet sich direkt ihrer nächsten „Kundin“ zu: Die Dame aus Viersen ist mit acht Bildern angereist. Etwas von Wert, dass sich auf einer Kunstauktion versteigern ließe, können Gradel und Köhn nicht entdecken. Zum Leidwesen der Viersenerin. „Aber dieses Bild ist schön, professionell gemalt von einem Kunstmaler, der allerdings nie groß herausgekommen ist“, tröstet sie Oliver Gradel.

Bis zu drei Gegenstände bewerten die Kunsthistoriker kostenlos. Ihren Service bieten sie auch im Internet an. Und wer nicht mehr gut zu Fuß ist, wird zu Hause besucht. Natürlich gegen Honorar. Das verschollene Kunstwerk, das hinterher Zigtausende auf dem Kunstmarkt erzielt hat, haben sie bislang noch nicht entdeckt. Aber schon manches Kleinod, das jahrzehntelang unerkannt die Wohnzimmeranrichte oder -wand verschönerte.

Diese Summe könnte auch das Werdener Ehepaar erzielen, das drei Zeichnungen mitbringt. Interessiert beugen sich die beiden Gutachter über die Bilder, nehmen die Lupe zur Hilfe, um die Signatur besser zu erkennen. „Das ist von Hans Belmer, einem bekannten Künstler“, erläutert Silke Köhn und hält dem Paar einen kurzen Fachvortrag über das Schaffen des Malers, dessen Werke für bis zu 20 000 Euro gehandelt werden. Auch die nächste Zeichnung wird aufmerksam studiert. „Unseres Wissens nach soll es sich um eine Vorstudie von August Macke handeln“, erzählt das Paar aus Werden. Das Motiv finden die Kunsthistoriker nicht im weltweiten Netz, aber „das ist nicht ausschlaggebend“. „Vielleicht“, so Köhn, „wurde es von Macke wieder verworfen. Falls es sich herausstellt, dass es von Macke ist, kann der Marktwert sicherlich zwischen fünf und 30 000 Euro liegen.“

Diese Einschätzung hätte auch Brigitte P. gern vernommen. „Trotzdem hat das Bild für mich einen unschätzbaren Wert“, sagt die Essenerin, „es hat mich mein ganzes Leben lang begleitet , und ich liebe es immer noch.“