Essen. Das Gesetz habe Defizite, die Herausforderung für die Stadt sei groß, sagt Essens OB. Trotzdem wolle man die Impfpflicht in der Pflege umsetzen.

Die Stadt Essen hält an der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht fest, auch wenn das den Gesundheitsdienst vor „große Herausforderungen“ stelle, betont Oberbürgermeister Thomas Kufen. Für die Entscheidung des Freistaats Bayern, die Impfpflicht zunächst auszusetzen, habe er kein Verständnis. Ein städtischer Träger von Senioreneinrichtungen hat dagegen Sympathie für den bayrischen Weg: Man könne sich jetzt nicht erlauben, Pflegekräfte zu verlieren.

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Bis Mitte März müssen alle Beschäftigten in Pflege und Gesundheitswesen vollständig geimpft sein. Die Arbeitgeber sollen ungeimpfte Mitarbeiter an die Gesundheitsämter melden, die Beschäftigungsverbote aussprechen können. Wie das im Detail gerichtsfest umgesetzt werden soll, ist offenbar noch unklar. Die Kommunen sähen durchaus die Defizite des Gesetzes und hätten sich gewünscht, früher eingebunden zu werden, sagt Kufen, der derzeit auch stellvertretender Vorsitzender des Städtetags NRW ist. Nun arbeite man mit dem Land unter Hochdruck daran, ein Prozedere auf die Beine zu stellen, „das ohne komplizierteste Verwaltungsverfahren funktioniert“.

Essens Awo-Chef: „Bayerns Alleingang ist grob fahrlässig“

Mit Blick auf die Gesundheit von Altenheimbewohnern oder Patienten in Krankenhäusern sei er „von einer Impfpflicht für das Personal überzeugt“, stellte Kufen klar. Dass mit Bayern nun ein Bundesland die gemeinsam vereinbarte Regelung aussetze, führe nur zur Verunsicherung der Bürger. So sieht es auch der Chef der Essener Arbeiterwohlfahrt (Awo), Oliver Kern. „Es wird immer schwieriger, den Menschen die Corona-Regeln zu vermitteln, da ist so ein Alleingang grob fahrlässig.“

Kern befürwortet auch eine allgemeine Impfpflicht, für den Pflegebereich sei sie unverzichtbar: „Ich habe Menschen in den Heimen sterben sehen.“ Die Essener Awo habe daher, kaum dass die Impfpflicht beschlossen war, alle Mitarbeiter angeschrieben und für die Impfung geworben. Offenbar mit Erfolg: Von den gut 800 Kräften im Pflegebereich seien jetzt 97 Prozent geimpft, sagt Kern. Er sehe dem Stichtag im März daher gelassen entgegen.

Mehr Arbeitssuchende im Gesundheits- und Sozialwesen

Die Zahl der Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen, die eine Stelle suchen, ist zuletzt laut Agentur für Arbeit in Essen deutlich gestiegen. Die Statistik umfasst alle in diesem Bereich Tätigen, auch Hausmeister, Reinigungskraft, Gärtner oder technisches Personal:

Dezember 2019 und Januar 2020: 282 Arbeitssuchende

Dezember 2020 und Januar 2021: 308 Arbeitssuchende

Dezember 2021 und Januar 2022: 386 Arbeitssuchende

Sprich es gibt aktuell 104 Arbeitssuchende mehr als vor der Pandemie, das entspricht einem Anstieg von 36,9 Prozent. Greift man nur die Beschäftigten mit Pflegeberufen heraus, sehen die Zahlen so aus:

Dezember 2019 und Januar 2020: 64

Dezember 2020 und Januar 2021: 66

Dezember 2021 und Januar 2022: 103

Das bedeutet ein Plus von 39 Arbeitssuchenden oder einen Anstieg um 60,9 Prozent im Vergleich zu vor der Pandemie.

„Die Impfpflicht macht uns schon Kummer“, sagt dagegen Heribert Piel, Geschäftsführer der Gesellschaft für Soziale Dienstleistungen Essen (GSE). Dabei sind unter den rund 700 Mitarbeitern, die – teils auch in der Küche oder als Reinigungskraft – im Pflegebereich arbeiten nur noch wenige Ungeimpfte. Und von denen seien einige bereit, sich mit dem neuen Novavax-Vakzin impfen zu lassen.

Pflegekräfte sind derzeit nicht zu ersetzen

Bliebe nur eine Handvoll ungeimpfter Pflegekräfte. Ihnen ein Beschäftigungsverbot auszusprechen, fände Piel ärgerlich. Zumal man mit Maske und anderen Hygienemaßnahmen inzwischen eine hohe Sicherheit erziele und Omikron-Infektionen auch bei den alten Menschen meist mild verliefen. Mit einem Aussetzen der Impfpflicht nach bayerischem Vorbild täte man dem Pflegebereich angesichts des heftigen Personalmangels einen Gefallen. „Im Moment sind die Leute überhaupt nicht zu ersetzen.“ Und eine Kollegin habe schon angekündigt, sich bis Mitte März einen anderen Job zu suchen.

In sozialen Medien gibt es bereits Aufrufe an ungeimpfte Pflegekräfte, sich schon jetzt arbeitssuchend zu melden. Tatsächlich sind die Zahlen der Arbeitssuchenden in diesem Bereich zuletzt gestiegen: bundesweit und auch in Essen. Suchten zum Jahreswechsel 2019/2020 noch 64 Pflegekräfte eine Stelle, sind es laut Agentur für Arbeit aktuell 103, was einem Anstieg von knapp 61 Prozent entspricht.

Die Arbeitsagentur betont allerdings, dass die Gründe für die Arbeitssuche statistisch nicht erfasst würden: „Die Verknüpfung zur Impfpflicht wäre eine reine Vermutung.“ Und der Sprecher der AG Wohlfahrtspflege, Andreas Müller, hat aus den Reihen der Träger auch nicht gehört, dass es mit Blick auf die Impfpflicht zu einem sprunghaften Anstieg von Kündigungen gekommen wäre. Auch liege der Anteil der ungeimpften Kräfte in den Einrichtungen bei nur um die vier, fünf Prozent, habe eine Abfrage der AG ergeben. Es gehe hier um 135 Mitarbeitende.

Arbeitgebern drohen Klagen von entlassenen Mitarbeitern

Das Gesundheitsamt muss jedoch auch die ungeimpften Mitarbeiter vieler anderer Einrichtungen erfassen und sanktionieren: Allein in der Uniklinik mit ihren rund 10.000 Beschäftigten geht es um noch etwa 400 ohne ausreichenden Impfschutz. Wichtig sei, dass es hier ein rechtssicheres Verfahren gebe, betont Müller. „Das Gesetz ist schlecht gemacht, wenn es da keine Nachbesserung geben sollte, könnten den Arbeitgebern Klagen drohen, wenn sie die Beschäftigungsverbote umsetzen.“