Essen. Die Baumbilanz der Stadt Essen liest sich nur auf den ersten Blick positiv. Aber können Bäumchen Bäume ersetzen? Das steckt hinter den Zahlen.

Die Stadt Essen wird in diesem Jahr an Straßen und auf städtischen Grünflächen mehr Bäume pflanzen als in den vergangenen Jahren. Dies erklärte Melanie Ihlenfeld, Leiterin von Grün und Gruga, im Gespräch mit der Redaktion. Zwar hat die Stadt abermals „eine positive Baumbilanz“ vorgelegt. Auf den zweiten Blick aber liest sich die Statistik weniger erfreulich. Es wurden mehr Bäume gefällt als gepflanzt.

Positiv ist die Bilanz aus folgendem Grund: Die Zahl der Bäume auf städtischen Grundstücken, also an Straßen, in Parkanlagen und auf Friedhöfen, ist auch 2020 im Vergleich zum Vorjahr erneut gestiegen – von 202.420 auf 209.162. Das ist ein Zuwachs von 6742 Bäumen.

Laut Statistik hat sich der Bestand an Straßenbäumen schon zwei Jahre nach „Ela“ erholt

Der Trend der vergangenen Jahre setzt sich damit fort, trotz des Klimawandels, trotz viel zu heißer Sommermonate und trotz Orkantief „Ela“ und seiner verheerenden Folgen 2014. Laut der Baumbilanz von Grün und Gruga hatte sich der Baumbestand im öffentlichen Straßenraum bereits zwei Jahre nach dem Sturmereignis erholt.

Aber: „Der Teufel steckt bekanntlich im Detail“, warnt die Initiative „Gemeinsam für Stadtwandel“. Sie wies bereits im vergangenen Jahr darauf hin, dass auch die sogenannte Naturverjüngung in die Baumbilanz von Grün und Gruga Eingang finde. Damit gemeint sind Bäume, die nicht gepflanzt werden, sondern auf natürlichem Wege nachwachsen, indem der Wind herabfallenden Samen weiterträgt. „Ein Geschenk der Natur“, wie „Gemeinsam für Stadtwandel“ hervorhebt.

Essen erfasst in der Baumbilanz Stämme ab einem Umfang von 20 bis 25 Zentimetern

Diese Bäume werden ab einem Stammumfang in einem Meter Höhe von 20 bis 25 Zentimetern in der Bilanz erfasst, bestätigt Grün und Gruga. Wobei nicht jeder einzelne Baum gezählt werde, sondern sogenannte „Kollektive“. Ein Einzelbaumkataster befinde sich noch im Aufbau. In einem ersten Schritt soll das Kataster einen Überblick über alle Straßenbäume in der Stadt geben.

Positiv liest sich die Baumbilanz nur deshalb, „weil sie Baum mit Bäumchen verrechnet“, kritisiert „Gemeinsam für Stadtwandel“ und gibt zu bedenken: Ein junger Baum mit einem Stammdurchmesser von sechs bis acht Zentimetern könne einen bis zu 100 Jahre alten Baum als CO2-Speicher, Schattenspender und Lebensraum nicht gleichwertig ersetzen.

Die Zahl der Baumfällungen verkehrt die positive Bilanz in Essen ins Gegenteil

Ganz anders liest sich die Baumbilanz, lässt man die Naturverjüngung außen vor. So wurden 2020 an Straßen und auf städtischen Grundstücken 3971 Bäume gefällt. Das waren deutlich mehr als 2019, als die Säge an 3234 Stämmen kreiste. Was die Zahl der Fällungen angeht, verkehrt sich die positive Bilanz also ins Gegenteil.

Melanie Ihlenfeld will diesen Eindruck so nicht stehenlassen: „Wir fällen nur kranke Bäume und Bäume, die nicht mehr verkehrssicher sind“, betont die Leiterin von Grün und Gruga. Nur in Ausnahmefällen, etwa für Baumaßnahmen, würden auch gesunde Bäume entnommen.

Essens Straßenbäume konnten sich 2021 nicht ausreichend erholen

Der Umstand, dass 2020 mehr Bäume gefällt wurden als im Jahr zuvor, ist laut Ihlenfeld ein Beleg dafür, dass Essens Straßenbäume in den vergangenen Jahren erheblich gelitten haben. Jeder vierte Baum schwächelt, hieß es bereits 2021 nach drei heißen und trockenen Sommern in Folge. Davon habe sich der Bestand 2021, als es häufiger regnete, nicht erholen können, so Ihlenfeld.

Zurück zur Baumbilanz: Laut Grün und Gruga ist es erklärtes Ziel, für jeden Baum, der gefällt wird, einen neuen Baum zu pflanzen. Hinter diesem Ziel ist die Stadt 2020 jedoch deutlich zurückgeblieben. Für 3971 gefällte Bäume wurden gerade einmal 845 Bäume nachgepflanzt. Schon 2019 wurden unterm Strich rund 1700 mehr Bäume gefällt als gepflanzt. 1506 Bäume wurden ersetzt, das war, statistisch betrachtet, nicht einmal jeder Zweite.

Das Baumkataster

Das Baumkataster soll in einem ersten Schritt alle Bäume an Straßen nach Baumart, Alter, Höhe, Stammdurchmesser und Kronenbreite erfassen. Ergänzend sollen dazu auch Veränderungen am jeweiligen Standort dokumentiert werden.

Die dafür notwendigen Daten sollen mit Hilfe künstlicher Intelligenz erfasst werden. Das Amt für Geoinformation hat dazu ein 2,5 Millionen Euro teures Forschungsprojekt gestartet. Ermittelt wird der Zustand der Straßen, die Messtechnik soll auch Informationen über Straßenbäume liefern.

Melanie Ihlenfeld erklärt dieses Missverhältnis mit den schwierigen Standortbedingungen für Bäume an vielen Straßen. „Manchmal wundert man sich, dass dort überhaupt Bäume wachsen konnten.“ Grün und Gruga sei bemüht, die Bedingungen zu verbessern und Straßenbäumen mehr Platz zu verschaffen.

Schon im laufenden Jahr 2022 sollen deutlich mehr Bäume nachgepflanzt werden, kündigt Ihlenfeld an. „1000 neue Bäume“ haben CDU und Grüne in ihrem Kooperationsvertrag programmatisch festgeschrieben.