Essen. Immer mehr Angehörige von Corona-Leugnern rufen beim „Sekten-Info NRW“ an. Die Essener Beratungsstelle gibt Familien-Tipps für den Alltag.

Die landesweite Einrichtung „Sekten Info NRW“ aus Essen verzeichnet wegen Corona einen starken Anstieg der Zahl von Menschen, die sich beraten lassen wollen. Es handelt sich um Angehörige von Corona-Leugnern oder „Querdenkern“. Das Aufkommen der Beratungsgespräche mit Menschen, die nicht wissen, wie sie mit Eltern, Kindern oder Partnern umgehen sollen, die hinter der Corona-Pandemie eine Weltverschwörung wittern und sich daher nicht impfen lassen wollen, sei um ein Vielfaches gestiegen, berichtet Theologe Christoph Grotepass, Berater beim Sekten-Info, das seinen Sitz an der Rottstraße in der nördlichen Innenstadt hat.

„Wenn Du Dich impfen lässt, lasse ich mich scheiden!“ – Mit solchen Vorhaltungen müssen derzeit nicht wenige Ehepartner lernen, umzugehen. „Manche Impf-Gegner glauben sogar sich selbst gefährdet, wenn nur der Partner eine Impfung erhält“, sagt Grotepass. Erheblich sei auch die Zahl von Erwachsenen, die sich um ihre älteren Eltern sorgen, weil jene den vielen Anti-Corona-Verschwörungstheorien anheimfallen: „Das hat maßgeblich damit zu tun dass inzwischen auch viele ältere Menschen Smartphones haben und die sozialen Medien des Internet nutzen. So sind auch viele Senioren anfällig für obskure Sichtweisen zur Pandemie, die in Internetforen geteilt werden.“

Wer sich intensiv auf Verschwörungen eingelassen hat, ist mit Argumenten nicht mehr zu erreichen

Umgekehrt gebe es auch Ältere, die sich um ihre Kinder sorgen, weil die aus verschiedensten Gründen zu jenen zählen, die man Corona-Kritiker nennt. Grotepass rät dazu, Angehörige – vor allem dann, wenn man unter einem Dach lebt – nicht um jeden Preis inhaltlich überzeugen zu wollen. Am Anfang einer Beschäftigung mit Zweifeln und Verschwörungstheorien sollte man frühzeitig gemeinsam auf seriösen Seiten Informationen suchen. Doch wenn sich jemand bereits intensiv auf Verschwörungserzählungen eingelassen hat, könne man auf der Argumentations-Ebene wenig ausrichten – man vertiefe dadurch noch den Dissens, sagt Grotepass. „Verschwörungsgläubige fühlen sich bei Konfrontationen in ihrem Weltbild bestätigt, von Feinden umgeben zu sein.“

Wichtiger sei es, bevor es zu ernsthaften Spannungen kommt, den Partner oder den Angehörigen auf der emotionalen Ebene zu verstehen. Grotepass: „Wenn sich jemand in seiner Freiheit bedroht fühlt, gilt es, diese Angst wahrzunehmen. Wenn jemand ,selbstbestimmt’ ohne Impfung gesund bleiben will, ist das ja erst mal ein legitimes Anliegen, das allerdings einige Konsequenzen nach sich zieht über die man sich gemeinsam verständigen muss.“ Was jetzt nicht bedeute, dass man Verständnis entwickeln soll für die Überzeugungen, die die Corona-Kritiker oder -Leugner vertreten. „Man muss auch Grenzen setzen und im schlimmsten Fall eine Kontakt-Pause für sich in Anspruch nehmen, wenn es gar nicht mehr geht“, rät Grotepass. „Ansonsten ist es wichtig, Gemeinsames herauszufinden, das gegen die weitere Spaltung hilft.“

Von bürgerlich bis durchgedreht: Corona-Kritiker sind sehr unterschiedlich

Grotepass hat festgestellt, dass die Gruppe von Corona-Kritikern keinesfalls eine geschlossene Einheit darstellt: „Das geht bei Bürgern los, die irgendwie das Gefühl haben, in Sachen Corona nicht die ganze Wahrheit erfahren zu sollen. Und es endet bei jenen, die ernsthaft die Meinung vertreten, unsere Politiker seien in Wahrheit bereits durch ,Reptiloiden’ ersetzt worden.“ Die Prägung jener, die nicht auf Wissenschaft, Politik oder Medien hören wollen, sei unterschiedlichster Natur. „Da sind fundamentalistische Christen dabei, Esoteriker, Menschen, die eher der Alternativmedizin vertrauen, bis hin zu Rechtsradikalen.“

Das Sekten-Info NRW begleitet in Essen eine Gesprächsgruppe, die sich mittlerweile aus Bürgerinnen und Bürgern gebildet hat, die sich vorab beraten ließen, wie man mit Corona-kritischen Angehörigen umgeht. Die Gruppe trifft sich regelmäßig; eine Teilnahme ist aber nur möglich, wenn das Sekten-Info NRW zuvor beratend tätig war.

Sekten Info NRW e.V.: Telefonisch erreichbar montags bis freitags (außer mittwochs) von 9.30 bis 12 Uhr und von 13 bis 15.30 Uhr. 0201 - 23 46 46. E-Mail: kontakt@sekten-info-nrw.de