Essen. Die Demos der Corona-Skeptiker in Essen sind bislang regelkonform abgelaufen. So lange das so ist, wäre mehr Gelassenheit angebracht.

Am Montag (24.1.) werden sie wieder in Rüttenscheid demonstrieren, die „Spaziergänger“, die den Corona-Maßnahmen und dem Impfen kritisch bis ablehnend gegenüber stehen. Zumindest die generellen Ressentiments gegen das Impfen sind absurd. Dass die gesundheitlichen Risiken einer Corona-Infizierung für Ungeimpfte bedeutend größer sind als die Risiken einer Impfung selbst, darf als statistisch erwiesen gelten. Es ist irrational, dies nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Es muss kein Zeichen von Radikalisierung sein, die Beschränkung von Freiheitsrechten zu hinterfragen

Anders sieht es beim Thema Impfpflicht aus, über deren Sinn und Zweck sowie den Möglichkeiten der Durchsetzbarkeit man sehr wohl geteilter Meinung sein kann. Und erst recht ist es legitim zu hinterfragen, ob die staatlich verfügte Beschränkung individueller Freiheitsrechte immer verhältnismäßig war und ist. Es muss keineswegs ein Zeichen beginnender Radikalisierung sein, wenn jemand das Bagatellisieren dieser Eingriffe oder die blinde Gefolgschaft ohne kritisches Nachhaken für problematisch hält.

Die Motive der „Spaziergänger“ sind also differenziert zu betrachten. Von normal kritischen Bürgern bis zu intellektuell verdrehten Verschwörungstheoretikern findet sich in Essen bislang ein breites Spektrum zusammen. Sie pauschal in die rechtsradikale Ecke zu rücken, wirkt überzogen, auch wenn diese Sicht für manchen verführerisch sein mag, weil sich dann die Auseinandersetzung erübrigt.

Festzuhalten bleibt, dass diese Leute ein Grundrecht wahrnehmen, wobei entscheidend ist, dass sie sich an die Regeln halten, zu denen auch die Maskenpflicht gehört. Wie alle politischen Demonstrationen, ist dann aber auch diese hinzunehmen. Wer anderer Meinung ist, kann mit ebensogroßer Berechtigung dagegenhalten – wie es am Montag in Essen ja auch geschehen soll.

Die Veranstalter haben die Pflicht, radikale Elemente fernzuhalten

Protest wird von extremistischen Kräften gerne instrumentalisiert – eine Binsenweisheit, die im Auge zu behalten ist. Dass das Milieu der Corona-Skeptiker auch Rechtsradikale anzieht, ist offenkundig, in Sachsen etwa scheint die Unterwanderung bereits vielfach Realität zu sein. Zwar ist es nicht ohne weiteres zu verhindern, wenn sich Extremisten einer naturgemäß für jeden offenen Demonstration anschließen. Dennoch haben die Veranstalter auch in Essen die moralische Pflicht, das ihnen Mögliche zu tun, um demokratiefeindliche Elemente fernzuhalten.

Unterwanderungstendenzen gibt es aber auch auf der Gegenseite, was nicht ignoriert werden darf. Die Gruppierung „Essen stellt sich quer“, die die Gegendemo organisiert, ist selbst keineswegs über jeden demokratischen Zweifel erhaben. Hier sind es vom Verfassungsschutz beobachtete Linksextremisten, die im Kielwasser ihr Süppchen kochen, weshalb die Essener CDU beschlossen hat, zu ESSQ auf Distanz zu gehen.

Mancher im Kielwasser von „Essen stellt sich quer“ ist seinen Gegnern sehr ähnlich

Mit der freiheitlichen Grundordnung haben manche dieser Leute wenig am Hut, stattdessen wärmen sie sich am Feuer wachsender Gegensätze und blasen diese auf. Den Radikalen der anderen Seite sind sie mental oft ähnlicher als ihnen lieb ist. Das sollte zumindest wissen, wer bei den Veranstaltungen auftritt.

Die übergroße Mehrheit der Essener ist vernünftig, verhärtete Corona-Skeptiker, die es auf die „Spaziergänge“ zieht, sind weiterhin eine verschwindend kleine Minderheit. Das sollte eigentlich zu etwas mehr Gelassenheit im Umgang mit solchen Phänomenen ermutigen. Man muss nicht über jedes Stöckchen springen, das einem hingehalten wird.