Essen. Lange war die Emscher die größte Köttelbecke. Nun meldet die Emschergenossenschaft Historisches. In Essen bleibt allerdings noch einiges zu tun.
Uli Paetzel verkündete die frohe Neujahrsbotschaft persönlich auf Facebook: „Es ist geschafft! Wir haben unser Versprechen gehalten“, schreibt der Vorstandsvorsitzende der Emschergenossenschaft im sozialen Netzwerk. „Die Emscher ist komplett abwasserfrei!“
Es sind wenige Worte, die Historisches beschreiben: 170 Jahre lang diente die Emscher dem nördlichen Ruhrgebiet als Kloake, bis sich die Emschergenossenschaft vor nunmehr drei Jahrzehnten auf den Weg machte den Fluss, der zu Essen gehört wie die Ruhr, von Abwasser zu befreien. Die stinkende Brühe verschwindet nun in einem riesigen Abwasserkanal, den die Emschergenossenschaft in den vergangenen Jahren 51 Kilometer weit von Dortmund bis Dinslaken durchs Erdreich getrieben hat.
Die letzten Anschlüsse an den Emscher-Kanal wurden über die Feiertage gelegt
Die letzten Anschlüsse wurden in den vergangenen Tagen gelegt. „Unter Hochdruck haben unsere Kolleginnen und Kollegen auch über die Feiertage an der Fertigstellung des weltweit einzigartigen Generationenprojekts Emscher-Umbau gearbeitet. Danke für diese großartige Leistung“, schreibt Paetzel. Die Köttelbecke sei endgültig Geschichte, in die Emscher fließt nur noch geklärtes Abwasser.
Was allerdings noch nicht für alle Zuflüsse zur Emscher gilt. Einzig die Berne führt noch ihre schmutzige Fracht. Das mag man einen Wermutstropfen nennen, doch das Abwasser fließt am Sulterkamp unweit des Stadions an der Hafenstraße über ein Provisorium direkt in den riesigen unterirdischen Emscherkanal. Der Fluss selbst bleibt davon verschont.
An den Essener Nebenläufen zur Berne wird noch gearbeitet, am Pausmühlenbach, am Borbecker Mühlenbach… Dort hatte sich der Weiterbau wegen der Wasserralle um fünf Jahre verzögert. Der seltene Vogel wurde in ein Biotop auf Mülheimer Stadtgebiet umgesiedelt, dort musste der Vogel brüten, damit es am Mittellauf mit den Kanalarbeitenweitergehen konnte. Bis zum Jahr 2027 sollen auch diese Gewässer in einen naturnahen Zustand versetzt werden. So verlangt es die Europäische Union.
Der Emscherumbau ist eine große Chance für den gesamten Essener Norden
An der Emscher dürften vor allem jene Bürger dankbar sein, die dort zu Hause sind. Mehr schlecht als recht werden sie sich an den übelriechenden Duft gewöhnt haben, der regelmäßig aus dem trübe dahinfließenden Gewässer vor ihrer Haustür aufstieg. „Wer im Ruhrgebiet aufgewachsen ist, kennt die Emscher nur als abwasserführendes, schmutziges Gewässer. Sie hat uns in dieser Form ein Leben lang begleitet, von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter“, schreibt Paetzel fast schon poetisch.
Michael Schwamborn, SPD-Ratsherr aus Karnap, spricht aus, was wohl viele seiner Nachbarn denken: „Für uns hier in Karnap ist der Emscherumbau ein riesiger Fortschritt.“ Nun müsse es so schnell wie möglich an die Renaturierung gehen, sagt Schwamborn, der von 2014 bis 2020 Mitglied der Verbandsversammlung der Emschergenossenschaft war und der das Projekt in dieser Funktion begleitet hat. Schwamborn spricht von einer einmaligen Chance für den Essener Norden und nennt den Emscherumbau in einem Atemzug mit der Internationalen Gartenausstellung 2027 und Stadtentwicklungsprojekten wie der Marina am Rhein-Herne-Kanal in Altenessen, auch wenn man dort darauf schon sehr lange wartet.
Die Kanalisierung der Emscher und ihrer Zuläufe diente dem Gesundheitsschutz
Neue Zeiten brechen an. Und abermals hat die Emschergenossenschaft Geschichte geschrieben. Denn nicht zu vergessen: Die Kanalisierung der Emscher und ihrer Nebenflüsse mit Beginn des 20. Jahrhunderts war eine historische Leistung. Diente sie doch der Hygiene und dem Schutz der rasant wachsenden Bevölkerung in der Region von Kohle und Stahl.
Bergsenkungen hatten dazu geführt, dass sich an der Oberfläche das Gefälle veränderte und mäandernde Bäche nur langsam abflossen. Dadurch wurde das durch Fäkalien und industrielle Einleitungen belastete Wasser zunehmend zu einer Gefahr für die Gesundheit. Um den Abfluss zu beschleunigen, wurden die natürlichen Bachläufe in Kanäle und Betonschalen gezwängt. Als Köttelbecken dienten sie also schon vor Regulierung und Betonierung, die somit als Fortschritt zu werten sind.
Am Borbecker Mühlenbach verzögerte die seltene Wasserralle den Weiterbau
Dass die Emschergenossenschaft das Rad zurückdrehen konnte, hat einen Grund: Bergsenkungen seien nicht mehr zu befürchten, weshalb unterirdische Abwasserkanäle erst gebaut werden konnten. Die offenen Betonschalen, sie werden schlicht nicht mehr benötigt.
Der Emscher-Umbau
Die Emschergenossenschaft hat in den Umbau des Emschersystems rund 5,5 Milliarden Euro investiert. Für die Arbeiten auf Essener Stadtgebiet waren 864 Millionen Euro veranschlagt. Verlegt wurden unterirdische Kanäle mit einer Gesamtlänge von 430 Kilometern, rund 150 Kilometer an Gewässern wurden bereits renaturiert. Die Artenvielfalt an der Emscher hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten durch den Emscher-Umbau verdreifacht. Heimisch geworden sind Eisvögel, Libellen, Stelzen und die Emschergroppe.
An den Nebenläufen werden Betonsohlenschalen entfernt, Böschungen abgeflacht und neu gestaltet. Und dort, wo der Platz es erlaubt, erhalten die einst begradigten Flüsse wieder einen kurvenreicheren Verlauf, verspricht die Emschergenossenschaft. Die Emscher bleibt eingedeicht, wegen des Hochwasserschutzes ist dies unverzichtbar. Karnap ist Poldergebiet.
Nein, ein Badegewässer wird die Emscher niemals werden, heißt es bei der Emschergenossenschaft. Denn aus den Klärwerken fließt nach wie vor geklärtes Abwasser in den Fluss. Ufer bleiben streckenweise eingezäunt. Wo es möglich ist, soll das Flussbett aber verbreitert und neu gestaltet werden, um es dann der Natur zu überlassen. Auch Fische will die Emschergenossenschaft einsetzen. Ja, man glaubt es kaum, aber die Emscher war einmal ein fischreiches Gewässer. 10 bis 15 Jahre dürfte es dauern, bis sich die Natur ihren Raum entlang der Emscher zurückerobert hat, heißt es. Was für Aussichten!