Essen. Der riesige Abwasserkanal entlang der Emscher ist fertig, aber der Umbau der zufließenden Bäche geht bis 2027 weiter. So sieht es in Essen aus.
Sie galt nahezu als ausgestorben. Dass die Emschergroppe seit einigen Jahren wieder im Leppkes Mühlenbach heimisch ist, verdankt der kleine Fisch einem Umdenken der Emschergenossenschaft. Zwischen 1989 und 1991 wurde in Frintrop der Oberlauf von Leppkes Mühlenbachs renaturiert, ein Pilotprojekt, durch das der Wasserverband, unterstützt von den Städten und der IBA Emscherpark, einen völlig neuen Weg einschlagen wollte. Als jüngst die demnächst abwasserfreie Emscher gefeiert wurde – hier im Dreistädte-Eck Essen/Mülheim/Oberhausen hat vor drei Jahrzehnten alles angefangen.
Läppkes Mühlenbach war in den 1920er Jahren zu einer Betonrinne umfunktioniert worden wie so viele Bäche und Flüsse, die Schmutz und Abwasser in die Emscher trugen. Da ausreichend freies Gelände zur Verfügung stand, konnte die Emschergenossenschaft ab 1989 ein mäanderndes Bachbett schaffen. Der munter fließende Bach, die kleinen Wäldchen und wilden Wiesen sowie die großzügigen Wege bilden längst ein beliebtes Naherholungsgebiet im äußersten Essener Nordwesten. Ein Stück der alten Betonschale blieb bewusst erhalten. Leider ist dieses Denkmal mittlerweile stark überwuchert, sodass der Vorher-Nachher-Effekt nicht mehr so gut sichtbar ist.
Läppkes Mühlenbach mündet nur wenige hundert Meter hinter dieser Idylle in die Emscher, die nun selbst in naher Zukunft frei von Abwasser ist, was damals wie eine unerreichbare Utopie anmutete. Vor wenigen Wochen hat die Emschergenossenschaft in Oberhausen ein mächtiges Pumpwerk in Betrieb genommen. Damit ging jener gewaltige Kanal ans Netz, den der Wasserversorger 51 Kilometer weit von Dortmund bis Dinslaken durchs Erdreich getrieben hat, um die Emscher von ihrer schmutzigen Fracht zu befreien. Es ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einem abwasserfreien Emschersystem, dessen Umbau die Verbandsversammlung der Emschergenossenschaft im November 1991 feierlich im Essener Saalbau beschlossen hatte.
Ab Anfang des 20. Jahrhunderts wurden aus den verschmutzten Emscher-Zuflüssen
Der Umbau der Bachläufe und Nebengewässer ist in vollem Gange. Das gilt allen voran für die Berne und ihre Zuläufe, die Abwässer von rechnerisch 320.000 Einwohnern dieser Stadt aufnehmen. Auch dort wird das sogenannte Mischsystem entkoppelt, werden Frisch- und Abwasser von einander getrennt, indem entlang der Wasserläufe Kanäle, unterirdische Stauräume und Rückhaltebecken gebaut werden.
Ab Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Bäche in Kanalrohre oder offen verlaufende Betonschalen gezwängt worden, weil die durch den Bergbau verursachten Geländeabsenkungen dazu führten, dass das im flachen Emschergebiet ohnehin schon immer niedrige Gefälle sich weiter reduzierte. Die verheerende Folge: Das mit Schmutz aller Art, auch Fäkalien belastete Wasser floss nicht mehr ab, gravierende Hygieneprobleme entstanden.
Historische Leistung der Emschergenossenschaft: Die Bäche flossen wieder
Aus diesen schwach fließenden Gewässern wurden dann betonierte Rinnen, im Volksmund „Köttelbecken“ genannt. Das Wasser war zwar immer noch schmutzig, aber es floss immerhin zügig und zuverlässig ab. Das genau war die große Ingenieurs-Idee, mit der die Emschergenossenschaft dem Siedlungsbau und der Industrie und damit letztlich den Menschen im Emschergebiet – und damit auch des Essener Nordens – das Dasein erleichterte. Die Betonwannen waren nicht schön, aber nützlich, denn sie verhinderten Krankheiten und entlasteten auf ihre Weise auch die verbliebenen Freiflächen. Eine historische Leistung der Emschergenossenschaft, die bei aller Renaturierungsfreude nicht ganz untergehen sollte.
Allerdings gab es neue Gefahren: Auf historischen Fotos ist zu sehen, wie Kinder knietief in der Brühe stehen. Die „Köttelbecken“ dienten ihnen als Abenteuerspielplatz, obwohl das gefährlich und deshalb verboten war. Wer sich hineinwagte in eine der glitschigen Rinnen, drohte auszurutschen und spielte mit seinem Leben.
Seinen Zweck hat dieses Abwassersystem also erfüllt. Zeitgemäß ist es aber längst nicht mehr. Und spätestens seit die Europäischen Union um die Jahrtausendwende beschlossen hat, dass Gewässer wieder in einen naturnahen Zustand zu versetzen sind, tickt die Uhr. Bis 2027 muss es soweit sein.
Fast überall im großen Essener Einzugsgebiet der Emscher wird deshalb gebaggert und gegraben. An der Berne, am Borbecker Mühlenbach und am Stoppenberger Bach. Überall dort verbannt die Emschergenossenschaft das Abwasser in neue Kanalrohre. Am Katernberger Bach sind sie auf einer Länge von 3,4 Kilometern bereits fertig, am Schurenbach mit seinen 1,7 Kilometern und auch am Sälzerbach in Altendorf auf insgesamt 500 Metern Länge, wo in nicht allzu ferner Zukunft auch das neue Stadtquartier „Essen 51“ an das Kanalsystem angeschlossen werden soll.
500 Millionen Euro wurden in Essen für den Umbau des Emscher-Systems ausgegeben
Viel Erdreich und gigantische Summen werden dafür bewegt. 864 Millionen Euro veranschlagt die Emschergenossenschaft allein für die Arbeiten auf Essener Stadtgebiet, 500 Millionen davon wurden bereits ausgegeben. Die Ausgaben unterliegen stets einer Kosten-Nutzen-Analyse, betont Bettina Gruber, als Gebietsmanagerin aus der Abteilung Planung und Bauen zuständig für den Umbau in Essen.
Kanalbau und Renaturierung
So weit ist die Emschergenossenschaft mit dem Kanalbau: An der Berne sind 2,5 von 7,8 Kilometern betriebsbereit. Am Pausmühlenbach sind 800 Meter Kanal komplett fertig. Am Borbecker Mühlenbach sind 4 von 8,2 Kilometern betriebsbereit. Der 500 Meter lange Kanal am Sälzerbach ist komplett fertig. Am Stoppenberger Bach ist einer von 3,6 Kilometern fertiggestellt. Der 300 Meter lange Ernestinengraben ebenfalls fertig, ebenso der Schurenbach mit einem 1,7 Kilometer langen Kanal. Am Katernberger Bach liegt der Kanal ebenfalls komplett auf einer Länge von 3,4 km, die letzten 200 Meter davon auf Gelsenkirchener Gebiet. Der Schwarzbach soll in Essen, Gelsenkirchen auf einer Länge von 28,4 Kilometern umgebaut werden. 25,7 Kilometer Kanäle wurden bereits verlegt.
Der Borbecker Mühlenbach wurde auf rund zwei seiner acht Kilometer renaturiert. A, Katernberger Bach sind es 2,2 von 3,6 Kilometern und am Schwarzbach 6,7 von 24,8 Kilometern. Der Schurenbach wurde auf seiner Länge von 1,7 Kilometern wieder in einen naturnahen Zustand umgebaut.
Soll heißen: Nicht alles, was wünschenswert wäre, ist auch machbar. Oder bezahlbar. Die Bernestraße in der Innenstadt beispielsweise werden sie nicht wieder aufreißen, um den Fluss an die Oberfläche zu holen. Gewässer, die unter die Erde verbannt wurden, bleiben dort. Der Aufwand wäre andernfalls zu groß, die Kosten zu hoch.
Dort aber, wo die Gewässer in Betonrinnen fließen, werden diese zurückgebaut, wenn auch längst nicht überall der nötige Platz vorhanden ist, um mäandernde Bachläufe zu schaffen wie für den Läppkes Mühlenbach. Bettina Gruber nennt es dennoch eine „ökologische Verbesserung“. Das klingt maßlos untertrieben. Wie es nach dem ökologischen Umbau aussieht, lässt sich aber bereits gut am Oberlauf des Borbecker Mühlenbachs bestaunen, der Holsterhausen und die Margarethenhöhe trennt. Auch hier wuchs binnen weniger Jahre eine grüne Lunge, fast eine Art Urwald empor, der im Sommerhalbjahr den Bach bereits vollständig vor Spaziergänger-Blicken verdeckt, was dann schon wieder ein wenig bedauerlich ist.
Nicht überall können die Bäche so idyllisch dahinplätschern wie hier. Der Stoppenberger Bach etwa speist sich allein aus Regenwasser und dürfte immer wieder trocken fallen. Wieder anders der Pausmühlenbach in Borbeck/Gerschede, den eine natürliche Quelle speist. Auch die Berne, die unweit der Emschergenossenschaft an einer Grünfläche namens Bernewäldchen entspringt, dürfte wegen der dichten Bebauung und dem Verlust großer Teile des Quellgebiets nicht mehr sein als ein dünnes Rinnsal.
Doch sie alle erfüllen eine wichtige Funktion in einer Zeit, in dem sich extreme Wetterereignisse mit sturzbachartigen Regenfällen nach Expertenmeinung häufen werden. Von der „Schwammstadt“ war noch keine Rede, als vor 30 Jahren der Umbau des Emschersystems beschlossen wurde. Heute ist letzterer ein tragender Baustein für die Stadt von morgen, die sich gegen die Folgen der Klimaveränderungen wappnet.
Die Funktion als Abwassersystem soll dabei nicht in Vergessenheit geraten. Dafür sorgt ein Stück „Köttelbecke“ jenseits der Stadtgrenze zu Bottrop am Unterlauf der Berne. Dort steht die Mündung in die Emscher unter Denkmalschutz.