Essen. Kevin Hartwig arbeitet auf Corona-Intensivstationen. Im Interview erzählt der Essener vom Alltag, der Belastung und den sterbenden Patienten.
Körperlicher und psychischer Stress, Schutzkleidung, Beatmungsschläuche, sterbende Patienten und Patientinnen: Das ist Alltag für Kevin Hartwig. Der 28-Jährige arbeitet bei einer Zeitarbeitsfirma und wird in verschiedenen Krankenhäusern in Essen und Umgebung als Intensivpfleger eingesetzt. Im Interview erzählt der Essener, wie er die Corona-Pandemie erlebt, wo er an seine Grenzen kommt und warum er eine Impfpflicht nicht unbedingt befürwortet.
Wie geht es Ihnen derzeit?
Kevin Hartwig: Mittlerweile wieder ganz gut. Während der zweiten Welle war ich extrem überlastet, psychisch und körperlich angestrengt. Ich brauchte eine Auszeit von dem ganzen Leid und dem Elend auf den Intensivstationen, wo auch viele junge Patienten gestorben sind. Daraufhin habe ich meine Arbeitszeit reduziert, das hat geholfen und ich konnte Kraft tanken. Jetzt fühle ich mich wieder motiviert.
Wie hat sich die Überlastung geäußert?
Ich war nervös, fühlte mich im Dauerarbeitsbetrieb, habe nachts entweder wach gelegen und an die Patienten gedacht oder im Traum die Geräte gehört, wie sie Alarm schlagen. Ich hatte keine Ressourcen mehr, um mich mit Freunden zu treffen.
Essener Intensivmediziner beklagt Personalmangel in Krankenhäusern
Stellen Sie diese Überlastung auch in den Teams fest, in denen Sie arbeiten?
Die Stimmung ist rauer geworden. Viele haben hingeschmissen, reduziert oder sind im Burnout. Das macht den Personalmangel noch schlimmer und die Krankenhäuser müssen vermehrt bei Zeitarbeitsfirmen anfragen, die dann Personal bereitstellen. Es ist frustrierend, wenn man viel machen könnte, die Ressourcen aber einfach nicht da sind. Beispielsweise muss man die Patienten regelmäßig umbetten, das heißt auf den Rücken oder den Bauch drehen. Ist zu wenig Personal da, passiert das unter Umständen seltener als bestenfalls nötig wäre. Die Lunge ist dann mehr belastet.
Was macht die Arbeit mit Corona-Patienten so schwierig?
Wir tun alles für die Patienten, aber oft wird es einfach nicht besser. Diese permanente Verschlechterung, obwohl man alles tut, das ist frustrierend. Zudem ist die Betreuung sehr aufwendig. Wir sind oft lange in den Zimmern, weil sich der Zustand schnell ändert. Wenn wir die Patienten dann in Bauchlage bringen müssen, weil sie sonst von der Beatmung nicht mehr klarkommen, brauchen wir oft vier oder fünf Pflegekräfte. Das ist psychischer und körperlicher Stress. Man arbeitet ja auch permanent in kompletter Schutzkleidung, die man immer wieder auszieht und wegschmeißt, wenn man das Zimmer verlässt.
Wie oft ziehen Sie sich während einer Schicht um?
Mindestens zehnmal. Es kann vorkommen, dass man sich anzieht, die Patienten versorgt, rausgeht, wieder auszieht und in dem Moment geht der Alarm im Zimmer los. Dann geht das Ganze wieder von vorne los. Die oberste Priorität ist, sich selbst zu schützen.
Angehörige von Corona-Patienten brechen zum Teil auf der Station zusammen
Wie sehr nimmt Sie die Arbeit emotional mit?
Ich versuche, die Patienten als Fälle zu sehen und Distanz zu wahren, alleine schon aus Selbstschutz. Ich schaue mir aber auch die Familienfotos an, die teilweise über dem Bett hängen, um zu sehen, wie der Patient tatsächlich aussieht. Da muss ich schon manchmal schlucken. In manchen Krankenhäusern ist Besuch erlaubt. Wenn die Angehörigen mit eigenen Augen sehen, wie schlecht es den Patienten geht und dass sie kaum mit ihnen sprechen können, brechen sie manchmal direkt auf der Station zusammen. Viele Corona-Kranke werden über eine Maske beatmet und bringen kaum die Kraft zum Sprechen auf.
Und wenn sie sprechen, was sagen die Patienten und Patientinnen dann?
Ich habe mal eine Dame ungefähr vier Wochen lang begleitet, die hat mir am Anfang noch gesagt, dass sie Angst vor dem Virus hat und auch Angst zu sterben. Sie war sogar geimpft. Ihr Zustand verschlechterte sich aber immer mehr. Sie wurde dann intubiert, an die Beatmungsmaschine angeschlossen, in Bauchlage gedreht, aber es hat alles nichts gebracht. Sie ist mit Mitte 50 gestorben. Meine Mutter ist auch in dem Alter, das war auch für mich sehr schlimm.
Was sagen diejenigen, die ungeimpft mit Corona auf der Intensivstation liegen?
Das ist ganz unterschiedlich. Manche Patienten sind durch den Sauerstoffmangel im Blut und aufgrund der Gesamtsituation in ihrem Wesen verändert. Einige sind dankbar, andere aggressiv, wieder andere überrascht, dass es ihnen so schlecht geht. Manche sagen, dass sie sich hätten impfen lassen, wenn sie gewusst hätten, wie schlimm das Virus ist.
Macht Sie das wütend, wenn Sie so viel Energie aufbringen müssen für Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen?
Im Umgang mit ihnen spüre ich selten Wut. Ich höre mir die Gründe an und stelle fest, dass oft Unwissenheit und Angst dahinterstecken. Dann versuche ich aufzuklären.
Befürworten Sie eine Impfpflicht?
Eine Impfpflicht sehe ich kritisch. Darüber sollte jeder selbst entscheiden dürfen. Das Virus wäre damit nicht besiegt. Unsere Arbeit würde es aber schon erleichtern.
Essener Pfleger fordert bessere Bezahlung, Work-Life-Balance und bessere Ausstattung
Was würde Ihre Arbeit noch erleichtern?
Die personelle Besetzung muss sich bessern und dafür muss der Beruf attraktiver gemacht werden. Dazu zählt auch eine bessere Bezahlung. Schließlich tragen wir extrem viel Verantwortung.
Was muss sich noch ändern?
Die Arbeitszeit muss flexibler gestaltet werden, damit man Arbeit und Freizeit besser miteinander vereinbaren kann. Sonst bleibt das Privatleben auf der Strecke. Die Essener Uniklinik setzt das mittlerweile schon ganz gut um.
Macht es für Sie einen Unterschied, in welcher Essener Klinik Sie im Einsatz sind?
Darüber darf ich nichts sagen. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass größere Kliniken besser ausgestattet sind und das die Arbeit einfacher macht. In manchen Krankenhäusern gibt es keine Schleusen, in denen sich das Pflegepersonal umziehen kann, und die Zimmer sind viel zu eng.
Warum tun Sie sich das alles an?
In meinem Beruf kann ich als Intensivpfleger das Maximum der Medizin anwenden und habe sehr viele Möglichkeiten, um zu helfen. Unbezahlbar sind dann die Dankesbriefe, die uns erreichen, wenn wir Patienten in die Reha entlassen oder auch Angehörige, die sich persönlich bei uns bedanken. Ich arbeite aber wirklich nicht gerne unter Corona.