Essen. Aufklärung von Missbrauchsfällen und mehr Frauenrechte: Das fordern Essener Mitglieder der Bewegung Maria 2.0. Wie sie jetzt protestieren.

Altfrid Norpoth (71) ist ein gläubiger Mann. Seine Religion gibt ihm Halt, er betet jeden Tag, er hat das Gefühl, dass Gott ihn leitet. Auf die katholische Kirche ist er allerdings weniger gut zu sprechen. Er will, dass sich etwas ändert. Deshalb hat er jüngst gemeinsam mit Mitstreiterin Petra Focks (69) Postkarten in Essen verteilt, die an keinen geringeren als Papst Franziskus adressiert sind. Ihr Ziel: Den Pontifex auf Missstände in seiner Kirche aufmerksam machen.

Norpoth und Focks, er Huttroper, sie Holsterhausenerin, engagieren sich bei Maria 2.0. Die Bewegung will festgefahrene Strukturen innerhalb der katholischen Kirche aufbrechen. Zentrale Forderungen: eine bessere Aufarbeitung von Missbrauchsfällen, Abschaffung des verpflichtenden Zölibats, mehr Rechte für Frauen. Die Bewegung Maria 2.0 ist Initiatorin der Postkartenaktion, eine Vertreterin aus Hamburg hatte die Idee.

Deutschland weit sollen 25.000 Karten an den Papst verschickt werden

Insgesamt 25.000 Karten sollen in der ersten Novemberwoche deutschlandweit verteilt und an Papst Franziskus geschickt werden. „Lieber Papst Franziskus, ich bin unendlich traurig“, steht dort in magentafarbenen Lettern auf gelbem Hintergrund. Es folgen verschiedene Punkte, die aus Sicht der Initiatorinnen und Initiatoren gerade falsch laufen – zum Beispiel, dass die Kirche nichts gegen die systemischen Ursachen sexualisierter Gewaltunternehme und Frauen ihre „von Gott gegebene priesterliche Berufung“ nicht leben könnten, weil die Kirche es ihnen verwehre.

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„Lieber Papst Franziskus, ich bin unendlich traurig“ – so sind die Postkarten an den Papst überschrieben, die in der ersten Novemberwoche auch in Essen verteilt wurden.
„Lieber Papst Franziskus, ich bin unendlich traurig“ – so sind die Postkarten an den Papst überschrieben, die in der ersten Novemberwoche auch in Essen verteilt wurden. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Petra Focks hat die Postkarten auf dem Holsterhauser Markt verteilt. Die Aktion sei dort gut angekommen, berichtet sie: „Ich hatte 100 Karten dabei, nach einer Stunde waren nur noch 50 übrig.“ Bei den Gesprächen habe sich gezeigt: Viele Menschen denken ähnlich wie sie und Norpoth. „Das war schon etwas frustrierend. Es gab niemanden, der gesagt hat: ‘Die Kirche ist eine tolle Sache’“, so Focks. Stattdessen habe sie mit vielen Menschen geredet, die zwar gläubig seien, mit der katholischen Kirche aber nichts mehr zu tun haben wollten.

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Essener: Katholische Kirche schließt Geschiedene und Homosexuelle aus

Norpoth war vor kurzem an einem ähnlichen Punkt. In seinem Leben hatte er schon viele kirchliche Ämter inne, war Pfarrgemeinderat, Kirchenvorstand und Katholikenrat. Mit den innerkirchlichen Strukturen hadert er aber schon lange. „Wer anderer Meinung ist oder anders lebt, wird bestraft“, kritisiert er. Das gelte für Geschiedene genauso wie für Homosexuelle. Was den 71-Jährigen besonders ärgert: „Das ganze System steht nicht in Einklang mit der Bibel. Wenn Jesus das sehen würde, würde er sich umdrehen und wieder gehen.“ So stünden viele unzeitgemäße Regelungen, zum Beispiel das Zölibat, gar nicht in der Bibel, sondern seien im Mittelalter eingeführt worden.

Gemeinsames Gebet in Holsterhausen

In Essen hat die Bewegung Maria 2.0 24 aktive Mitglieder, schätzen Norporth und Focks. Unterstützerinnen und Unterstützer gebe es aber noch wesentlich mehr.

Immer donnerstags um 17 Uhr trifft sich die Gruppe in der Kirche St. Mariä Empfängnis in Holsterhausen zum gemeinsamen Gebet. Interessierte sind eingeladen, daran teilzunehmen.

Als der Vatikan das Segnungsverbot Homosexueller aussprach, hisste Norpoth in seinem Garten dort, wo sonst die Schalke-04-Vereinsflagge weht, eine Regenbogenfahne. „Irgendwann habe ich mich gefragt: Trete ich jetzt aus – oder bleibe ich und verändere etwas?“, sagt er. Er entschied sich für letzteres. Und hofft nun, dass auch die Postkartenaktion etwas bewirken kann.

„Es wird noch viele Austritte aus Frust geben“

Dass die Karten tatsächlich beim Papst persönlich ankommen werden, glauben die beiden Essener nicht. Ziel sei es vielmehr, so viele Karten zu schicken, dass sie nicht mehr diskret von dafür zuständigem Personal entsorgt werden könnten. „Wir wollen ein Zeichen dafür setzen, wie viele Menschen unzufrieden sind“, sagt Focks. Und bereits jetzt hätten sie mit der Aktion deutschlandweit viel Aufmerksamkeit erregt

Sollte es keine Änderungen geben, davon ist Norpoth überzeugt, werde die katholische Kirche einen bitteren Preis bezahlen. „Es wird noch viele Austritte aus Frust geben“, prognostiziert er. „Und irgendwann wird der letzte das Licht ausmachen.“