Essen. Die Essener „Naturheilpraxis ohne Grenzen“ versorgt Obdachlose mit Therapien und Gespräch. Warum die Therapeuten nun auch im Mobil unterwegs sind.

Die „Naturheilpraxis ohne Grenzen“, die in Essen kostenlos arme und wohnungslose Menschen versorgt, wird mobil: Mit ihrem durch Spenden erworbenen Rettungswagen wird sie ab sofort alle 14 Tage bedürftige Patienten in der Innenstadt behandeln. Schirmherr des „Naturheilmobils“ ist Stadtdirektor und Gesundheitsdezernent Peter Renzel.

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Es ist eine ganz besondere Erfolgsgeschichte, die die engagierte Heilpraktikerin und promovierte Ingenieurin Heike Goebel allen immer wieder gerne erzählt: Vor drei Jahren gründete sie mit weiteren Heilpraktikern die „Naturheilpraxis ohne Grenzen“ als kostenloses Angebot für Menschen ohne Obdach: „Ich habe damals zusammen mit Ärzten auf dem Medimobil in Wuppertal Menschen in sozialer Not versorgt“, erzählt sie, „da habe ich zum ersten Mal erfahren, was Armut und Obdachlosigkeit mit Menschen macht, wie sich prekäre Lebenssituationen belastend auf ihre Gesundheit auswirken. Viele zeigen ein komplexes Krankheitsbild mit körperlichen und seelischen Beschwerden.“

Ehrenamtliche gründeten die „Naturheilpraxis ohne Grenzen“

Diese Erfahrung habe sie dazu veranlasst, in Essen die grenzenlose Naturheilpraxis als gemeinnützigen Verein ins Leben zu rufen. Gleichzeitig fand Heike Goebel zahlreiche Mitstreiter, die mit ihr gemeinsam das Projekt starteten und dort ehrenamtlich tätig sind.

„Zunächst kamen wir in den Räumlichkeiten oberhalb der Gertrudiskirche in der nördlichen Innenstadt unter“, berichtet Goebel, „dort boten wir kostenlos Physiotherapie, ganzheitliche Naturheilmedizin, Osteopathie, aber auch Gespräche und, was besonders genutzt wurde, Fußpflege an.“ Das niederschwellige Angebot wurde schnell gut genutzt, und die Praxis war an jedem Behandlungstag voll.

Naturheilmobil hält am Hauptbahnhof und am Pferdemarkt

Das Naturheilmobil hält jeden 1., 3. und 5. Mittwoch in der Innenstadt: von 17 bis 18.30 Uhr auf dem Parkplatz am Hauptbahnhof (Südseite) und von 19 bis 20.30 Uhr am Pferdemarkt vor der Gertrudiskirche.

Dringend gesucht wird ein/e medizinische/r Fußpfleger/in für das ehrenamtliche Team des Mobils. Der Verein hat den Gedanken der ganzheitlichen Therapie für Menschen in Not weitergetragen und Naturheilpraxen ohne Grenzen in Bielefeld, Duisburg, Düsseldorf, Köln, Frankfurt und Schwerin eröffnet.

Die Praxis an der Papestraße 7 hat jeden Dienstag, 16 bis 20 Uhr, geöffnet. Kontakt: 0179 61 73 266, . https://naturheilpraxis-ohne-grenzen.de/essen/

Mitstreiter fand Heike Goebel auch bei den zahlreichen sozialen Organisationen, dem Gesundheitsamt und der Stadt, konnte so ein gutes Netzwerk aufbauen. Ihrer Meinung nach liege das auch daran, „dass wir uns nie als Konkurrenz zur Schulmedizin verstanden haben. Wir halten uns von Anfang an strikt an die Grenzen der Heilkunde durch Heilpraktiker.“ Bei Bedarf erfolge immer eine Weiterleitung der Patienten an entsprechende Therapeuten, Ärzte oder Kliniken.

Praxis zog von der Essener Innenstadt an die Papestraße

Als die Praxisräume in der Gertudiskirche zu klein wurden, vermittelte Gesundheitsdezernent Peter Renzel, der das Projekt von Beginn an unterstützte, den engagierten Heilpraktikern neue, größere Praxisräume in der Papestraße. Wo einst das Jugendzentrum stand, wurde eine neue Flüchtlingsunterkunft gebaut. Die ist inzwischen nicht mehr stark frequentiert, so dass Räume frei wurden.

„Zunächst hatten wir vier Behandlungszimmer, inzwischen sind wir bei zehn angelangt“, sagt Heike Goebel. Mittlerweile bieten über 40 Therapeuten dort auch weitere Behandlungen wie Psychotherapie, Yoga und Entspannungstherapie, Kunsttherapie, Suchttherapie, Unterstützung von Schwangeren und Ernährungsberatung an.

Sie werden mit dem Naturheilmobil unterwegs sein (v.l.): die Therapeutinnen Petra Coenradie, Eva Scholten und Katrin Mühling.
Sie werden mit dem Naturheilmobil unterwegs sein (v.l.): die Therapeutinnen Petra Coenradie, Eva Scholten und Katrin Mühling. © Eckardt

Es kommen immer mehr Patienten, sogar aus anderen Städten; darunter auch manche, die einsam sind, das Gespräch suchen, einen Kaffee trinken wollen. „Doch die Obdachlosen blieben fern, die haben wir verloren“, bedauert Heike Goebel. Die Gründe dafür seien einfach zu benennen: „Ihnen ist der Weg zu weit; die meisten halten sich in der Innenstadt auf, die sie nicht verlassen.“ Und die, die anfangs vielleicht noch kamen, habe offenbar die Präsenz des Ordnungsamtes abgeschreckt: Der kommunale Ordnungsdienst ist 2020 in die Papestraße direkt über die Naturheilpraxis gezogen.

Naturheilmobil ergänzt das Arztmobil

Deshalb entstand die Idee der rollenden Naturheilpraxis: „Wenn die wohnungslosen Menschen nicht zu uns kommen, dann müssen wir eben zu ihnen gehen.“ Mit ihrer Hartnäckigkeit und ihrem Einsatz gelang es Heike Goebel, innerhalb kürzester Zeit die Spendengelder für einen gebrauchten Rettungswagen einzusammeln. Das weiß-grüne Naturheilmobil wird ab sofort alle 14 Tage in der Innenstadt im Einsatz sein und die obdachlosen Menschen mit manueller Schmerztherapie, psychologischer Beratung, Vitaminen, Mineralien und medizinischer Fußpflege versorgen.

„Das Naturheilmobil ist damit eine wunderbare Ergänzung unseres Arztmobils“, freut sich Peter Renzel, der ohne Zögern die Schirmherrschaft für das Projekt übernommen hat. Diese „Hilfe, die von Herzen kommt,“ sei übrigens deutschlandweit bislang einmalig, ergänzt Heike Göbel.