Essen. Der Historische Verein Essen reagiert auf ein gestiegenes Interesse an Friedhofs-Führungen – und will dort Veranstaltungs-Schwerpunkte setzen.
Nicht nur Tod und Trauer ziehen die Menschen auf die Essener Friedhöfe. Die wie Parks angelegten Flächen sind auch Oasen der Stille und Erholung inmitten der lärmenden Großstadt. Mehr noch: Als Orte der Erinnerung spiegeln sie auf ebenso unterhaltsame wie lehrreiche Weise die jüngere Stadtgeschichte.
Der Historische Verein der Stadt Essen will deshalb aus den Essener Friedhöfen ab dem kommenden Jahr einen neuen Veranstaltungs-Schwerpunkt machen: Ähnlich wie der Denkmalpfad sollen Friedhofs-Führungen interessante Persönlichkeiten der Essener Geschichte und bemerkenswerte Grabstellen in ein neues Licht rücken.
Stadthistoriker Michael Maas: „Essens Friedhöfe gehören zum immateriellen Kulturerbe“
Der Südfriedhof an der Lührmannstraße in Rüttenscheid: An der Trauerhalle hat sich an diesem Herbstvormittag eine kleine Gruppe eingefunden. In den nächsten 100 Minuten wird Michael L. Maas sie über einen der kleinsten Essener Friedhöfe führen. „Friedhöfe“, sagt der Hobby-Stadthistoriker, „gehören zum immateriellen Kulturerbe.“ Nicht erst seit dem „Tag des Friedhofs“ weiß Maas, wie groß das Interesse der Essener an seinen Friedhofs-Führungen ist.
Der Südfriedhof ist ein noch weitgehend unerforschtes Terrain. Diese Leerstelle will Maas füllen. Nur wenige Schritte von der Trauerhalle entfernt geht es mit einem Ausrufezeichen los. Direkt an der breit gepflasterten Mittelachse ruht Otto Blau, der zu Lebzeiten zu einem der berühmtesten Hoteliers des Reiches aufsteigt. Nach den Rühmanns ist er es, der den Handelshof 1916 pachtet und ihn mit seiner Frau Tilla in die Top-Liga katapultiert. In weiteren Betrieben am Burgplatz, im Grugapark, in Haltern und im Postcafé beschäftigt Otto Blau 600 Menschen – er gebietet damals über eines der größten Gastro-Imperien in Deutschland.
„Die Nutzungsrechte an seinem Grab sind längst erloschen“, erzählt Maas. Die Zeiten, als die Sterbezahlen hoch und die Nachfrage nach Gräbern dementsprechend waren, sind längst vorbei. Die Essener Friedhöfe schrumpfen. Immer wieder läuft die Gruppe an immergrünen Rasenflächen vorbei, wo wohl nie mehr ein Mensch seine letzte Ruhe finden wird. Grabsteine wie die von Otto Blau lässt die Friedhofsverwaltung wohlweislich stehen – etwa nach der Devise: Lieber ein dekorativer Grabstein als ein brachliegendes Stück Rasen.
Kein Einzelfall: Nutzungserlaubnis erlischt, aber der dekorative Grabstein bleibt
Auf dem Kölner Melatenfriedhof sind sie in diesem Punkt schon ein Stück weiter. Ein Förderverein vergibt seit einiger Zeit Patenschaftsgräber für denkmalgeschützte Grabanlagen an interessierte Menschen. „So etwas gibt es in Essen noch nicht“, fügt Maas an.
Nur wenige der im Laufe von 120 Jahren auf dem Südfriedhof Beerdigten dürften über die Grenzen Essens hinaus bekannt sein. Hier ruhen keine Präsidenten und Schauspieler-Legenden, der Promi-Faktor ist gering. Trotzdem hört die Gruppe aufmerksam zu, wenn Michael Maas eine Biografie nach der anderen aufschlägt.
Da ist der Beigeordnete Dr. Albert Meurer (1878-1957), der zu den Vätern der Gruga zählt, im Verlies der Nazis landet und in der Stunde Null die Essener CDU mitbegründet. Da ist der Rüttenscheider Pfarrer Werner Reitz, der ebenfalls gegen das Hitler-Regime opponiert und auf den Trümmern des Weltkriegs die Gemeinde der Versöhnungskirche wiederaufbaut. Im einzigen Ehrengrab liegt Bürgermeister Paul Jäger (1886-1958), Mitbegründer der FDP nach dem Krieg und für kurze Zeit Mitglied des ersten Deutschen Bundestages.
Nach Zechenbaron Emil Krabler sind eine Straße und ein Bergwerk benannt
Als Bergwerksdirektor und Zechenbaron hat Emil Krabler (1839-1909) Altenessen seinen Stempel aufgedrückt. Der Schacht Emil Emscher ist ebenso nach ihm benannt wie die Straße nahe dem Bahnhof Altenessen. Der Kaufmann und Mäzen Willi Gotthold Saeger (1907-1983), besser bekannt als „Betten Saeger“, zählt zu den einflussreichen Gönnern des Aalto-Theaters. Und etwas abseits ruht Dr. Ernst Finkemeyer (1935-1981), einst Deutschlands jüngster Oberstadtdirektor, der 1981 tragisch im Sommerurlaub in den Alpen verunglückt. „Seine Beerdigung hatte den Charakter eines Staatsbegräbnisses“, so Michael Maas.
Friedhöfe, Ehrengräber, Führungen
Essen besitzt eine vielfältige Friedhofslandschaft. Neben 23 kommunalen Friedhöfen gibt es noch neun evangelische und 23 katholische. Der Jüdische Friedhof befindet sich auf dem Parkfriedhof in Huttrop. Hinzu kommen elf Friedhöfe, die nicht mehr belegt werden (z. B. Alter Friedhof Segeroth Nordviertel), und neun Friedhöfe, die nicht mehr existieren (z. B. Friedhof am Kettwiger Tor).42 Persönlichkeiten hat die Stadt Essen ein Ehrengrab gewidmet, darunter herausragende Oberbürgermeister (Heinemann, Katzor, Nieswandt, Toussaint) und Bürgermeister. Weitere Ehrengräber gibt es für die Verleger Baedeker, der Industriepionier Franz Dinnendahl, Zollverein-Architekt Fritz Schupp, die Fliegerin Thea Raschke und die Unternehmer-Dynastie von Waldthausen.Die nächste Führung des Historischen Vereins Essen mit Michael Maas führt am 20. November über den Siepenfriedhof Huttrop. Internet: hv-essen.de
Als sie den Südfriedhof 1900 anlegen, ist Essen eine dynamisch wachsende Ruhrgebietsmetropole. Der Alte Friedhof Rüttenscheid von 1880 (heute Christinenpark) ist schon nach zwanzig Jahren komplett belegt. Zunächst liegt der Südfriedhof allein am Rande der Großstadt wie ein grüner Tupfer auf weißer Leinwand. Inzwischen ist er nahezu vollständig eingeschlossen vom Grugapark.
Meermann, Eggeling, Krabler, Blau: Essener Persönlichkeiten auf dem Südfriedhof
Friedhofsgärtner sind in diesen Tagen damit beschäftigt, das bunte Herbstlaub von Wegen und Gräbern zu fegen: Mit Allerseelen steht der Trauermonat vor der Tür. Der Mitarbeiter eines Bildhauer-Betriebs fräst den Namen eines gerade Verstorbenen in den schwarzen Granit, gegen Mittag taucht die Sonne den Südfriedhof in ein stimmungsvolles Goldenes-Oktober-Licht.
Vom imposanten Familiengrab der Kaufmanns-Dynastie Meermann („Cramer & Meermann“) mit lebensgroßer Christus-Statue führt die Tour zur Gruft der Eggelings, einer Architektenfamilie, die in Essen nachhaltige Spuren hinterlassen hat. Am bekanntesten sind das Gildenhaus am Kennedyplatz und das Kettwiger Tor, das 1954 nach den Plänen von Wilhelm Eggeling (1889-1955) erbaut wurde.
Der sechs Stockwerke hohe und geschwungene Baukörper mit Geschäften im Erdgeschoss soll wirken wie ein Mensch, der die Besucher mit offenen Armen empfängt. „Jetzt weiß ich endlich, wer das Haus gebaut hat, in dem ich lange mein Büro hatte“, sagt Wolfgang Karich (65), einer der Teilnehmer der Führung. Den Namen Eggeling habe er bis dahin nicht gekannt.
Doris und Gerd Bavendiek finden den Südfriedhof einen Tick zu nüchtern. Noch allzu frisch sind ihre Eindrücke vom Besuch Dresdens. Zufällig seien sie dort über zwei Friedhöfe geschlendert, die überladen gewesen seien mit barocker Pracht und Gründerzeit-Charme. Aber die Führung an sich habe ihnen gut gefallen. „Eine prima Idee“, sagen sie.