Essen. Der Essener Hospizdienst „Pallium“ hat Ehrenamtliche auf eine schwere Aufgabe vorbereitet. Wie sie sterbenden Menschen zur Seite stehen wollen.
Die 14-jährige Tochter von Sandra Sang hat die Frage gestellt, die wohl viele bewegt, wenn sie vom Ehrenamt der Essenerin hören. „Wirst Du dann nicht immer traurig sein?“ Die 47-Jährige ist jetzt Sterbebegleiterin, sie will Menschen in der letzten Phase des Lebens beistehen. Darauf hat sie sich seit Mai in einer Fortbildung beim ambulanten Hospizdienst „Pallium“ vorbereitet. Am Dienstag (5. Oktober) bekam sie, gemeinsam mit zehn anderen Kursteilnehmerinnen, ihr Zertifikat und eine Rose.
- Der ambulante Hospizdienst „Pallium“ ermöglicht sterbenden Menschen, in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben
- Die Ehrenamtlichen bereiten sich monatelang auf diese Aufgabe vor
- Sie erfüllen den Patienten letzte Wünsche oder sitzen einfach nur an ihrer Seite
- Die Sterbebegleiterinnen haben dabei selbst die Angst vor dem Tod abgebaut
Nun sitzen die Frauen im Seniorenstift St. Josef in Kupferdreh beim Sektfrühstück, die Stimmung ist vertraut. „Die Beschäftigung mit dem Tod hat uns einander näher gebracht“, sagt Sandra Sang. Die Zeit sei aufwühlend gewesen, aber sie habe die Angst vorm Sterben abgebaut.
Sie möchte Menschen den Raum geben, ihre letzten Wochen, Tage, Stunden zu Hause und so zu verbringen, wie sie es sich wünschen: Unerledigtes zu erledigen, sich mit der Familie versöhnen, ihre Spiritualität auszuleben – gehen zu können. „Als meine Oma starb, wollten andere Familienangehörige sie um jeden Preis halten. Meine Mutter und ich wollten, dass sie mit einem freien Gefühl gehen kann. Sie sollte wissen, dass sie auch dann weiter bei uns ist.“
Essener Ehrenamtliche wollen Sterbenden zur Seite stehen
Ihre Großmutter ist Ende der 1990er Jahren gestorben, seither gärte in ihr der Wunsch, auch anderen zu helfen, „bis zum Schluss sie selbst sein zu dürfen“. Der Mensch interessiere sie, nicht sein Beruf oder Status, sagt Sandra Sang. Im Vorbereitungskurs hätten sie erlebt, wie man fremden Menschen nah kommen, Persönliches erfahren, erfühlen kann, ergänzt Elke Werner (60): „Ich habe gestaunt, dass wir so schnell miteinander vertraut geworden sind.“
Seit Mai haben sie sich jede Woche gesehen, über Krankheit, Leiden und Tod, Religion und Werte gesprochen, im Hospiz, in Kliniken oder beim Pflegedienst hospitiert. Es sei eine intensive Zeit gewesen, sagt Elke Werner. „Wir haben viel gelernt. Zusammen geweint, zusammen gelacht.“ Beides gehöre dazu, bis zum Schluss. Erlebt habe sie das schon, als sie mit Mitte 30 in Kanada lebte, neben einem Indianerreservat. „Einmal hörte ich die ganze Nacht ein Trommeln und fragte mich, was das für ein Fest ist.“ Es war eine Beerdigung. „Wir haben oft Angst vorm Tod, dort waren die Toten noch da: ihr Herzschlag im Trommeln.“
Pallium: Hilfe wie ein schützender Mantel
Immer mehr schwerkranke Menschen wünschen sich, so lange wie möglich zu Hause zu bleiben. Der im Jahr 2004 gegründete, ambulante Hospizdienst Pallium (lat. Mantel) entstand im Zentrum für Palliativmedizin der Kliniken Essen-Mitte (KEM). Er will Menschen in der letzten Lebensphase helfen, selbstbestimmt und in Würde im gewohnten Umfeld zu leben. Er begleitet auch die Angehörigen.
Die kostenlose Begleitung erfolgt unabhängig von Weltanschauung, Religion und sozialem Status. Pallium lehnt aktive Sterbehilfe ebenso ab wie ungerechtfertigte Sterbeverlängerung. Pallium bildet regelmäßig ehrenamtliche Sterbebegleiter aus. Kontakt:0201-174-24 359
Elke Werner fehlte als alleinerziehende, berufstätige Mutter lange die Zeit für ein Ehrenamt, nun sind die Kinder erwachsen: „Jetzt kann ich das machen.“ Anderen Menschen die Angst vorm Sterben nehmen. Ein Tag im Hospiz habe ihr gezeigt, dass es reichen kann, still neben dem Bett zu sitzen, dazusein. Sie sei sonst immer in Aktion, liebe es, etwas zu bewegen. „Der Kurs hat mich weicher gemacht. Innezuhalten, mich in der Stille mit einem Menschen zu verbinden, hat mir gut getan.“
Binnen zehn Monaten verlor sie Bruder und Mutter
Susanne Hain hat vor einigen Jahren erfahren, welcher Schatz ein ehrenamtlicher Begleiter sein kann, auch für die Angehörigen. Innerhalb von zehn Monaten hat sie erst ihren Bruder, dann die Mutter verloren. „Der Tod hat mich massiv getroffen, ich war so verletzlich“, erzählt die heute 58-Jährige. „Ich konnte meine Mutter nicht so schwach sehen.“ Umgekehrt konnte sich die Mutter nicht mit all ihren Ängsten der Familie anvertrauen – wohl aber der Ehrenamtlichen. „Es war schön zu sehen, dass sie sich da geöffnet hat.“ Im Kurs sei diese Zeit jetzt noch einmal hochgekommen. „Mit dem Abstand bin ich bereit, mich dem Tod zu stellen. Mich anderen Menschen in dieser Situation zu schenken.“
Das sei auch mit viel Verantwortung verbunden, schließlich dringe man in den Haushalt, in die Privatsphäre ein, sagt die Mutter von zwei Söhnen. „Man muss schauen, was die Menschen wollen.“ Dabei hilft die Koordinatorin des ambulanten Hospizdienstes, Jutta Doetsch: Sie hat die elf neuen Ehrenamtlichen im Kurs kennengelernt und schaut, wer zu welchem Patienten, zu welcher Aufgabe passt.
Von den insgesamt 70 Sterbebegleitern bei „Pallium“ übernehmen manche eine Sitzwache im Monat, einige bieten auf der Palliativstation Kuchen und Gespräche an, andere begleiten einen sterbenden Menschen längere Zeit, erfüllen letzte Wünsche. Die Ehrenamtlichen selbst werden professionell betreut und finden Halt in der Gruppe.
Sie habe Ehrfurcht vor der Aufgabe, sagt Sandra Sang. „Bei meiner Oma habe ich erlebt, was es heißt, wenn ein Mensch in der schwersten Stunde nicht allein ist.“