Essen. Die Uniklinik Essen setzt auf Hightech-Medizin, Digitalisierung – und künstlerische Therapien. Warum schwerkranke Patienten malen und musizieren.

Sie setzen auf Digitalisierung und Hightech-Medizin, wollen die Uniklinik Essen zum Smart Hospital umbauen. Die Sorge, dass dabei die Menschlichkeit verloren gehe, teilt der Ärztliche Direktor Jochen A. Werner nicht. Die digitale Technik wolle man gerade nutzen, „um den Menschen in den Fokus stellen zu können“. Zum Beispiel im neuen Zentrum für künstlerische Therapien, das am Mittwoch (29. September) eröffnet wurde.

„Manches geht eben nur analog und wird bei uns schon mit viel Herz umgesetzt“, sagt Werner. Nun führe man – mit Unterstützung der Stiftung Universitätsmedizin – die vielen Initiativen im neuen Zentrum zusammen. So sollen künftig noch mehr Patienten und Patientinnen davon profitieren. Auch solche, die mit Kunst bis zu ihrem Klinikaufenthalt nichts im Sinn hatten. Oder solche, die noch ganz klein sind.

Mehr als nur Grundversorgung

Im Zentrum für Künstlerische Therapien fasst die Uniklinik die Musik-, Kunst- und Kreativtherapie zusammen, die schon jetzt eingesetzt werden. Sie ergänzen zum Beispiel in der Kinderklinik, in der Onkologie (Krebsbehandlung) und in der Nachsorge die klassischen Therapieformen.

Ermöglicht wird das neue Zentrum durch Spendengelder der Stiftung Universitätsmedizin Essen. Ihr Zweck ist es, Angebote für die Patienten zu fördern, die über die Grundversorgung hinausgehen. Außerdem unterstützt sie eine innovative Forschung und Lehre. Infos auf: www.universitaetsmedizin.de

Musiktherapeutin Susann Kobus denkt da an Henri, den sie als wenige Monate alten Säugling kennenlernte. Ein winziger Dialysepatient, den sie mit Musik vertraut machte. „Ich erinnere mich gut an den Moment, als sie in unser Zimmer trat“, erzählt Henris Mutter Friederike Göke. „Sie hatte ein unbekanntes Instrument dabei, das bei meinem Sohn sofort positive Gefühle auslöste.“

Baby Henri tröstete Musik auf der Intensivstation

Sansula heißt das Instrument: ein mit einem Trommelfell bespannter Holzring, auf dem Metall-Lamellen angebracht sind, die gezupft werden. Dabei entsteht ein wohl beruhigender Klang: „Henri schlief selig in meinen Armen ein“, sagt seine Mutter. Die Sansula begleitete ihn auch auf die Intensivstation, war sein erstes Weihnachtsgeschenk.

In dieser heftigen Zeit habe sie Henri auch mal Susann Kobus anvertrauen, eine Pause machen können. „Musik ist etwas, das Halt, Hoffnung und Kraft spendet – nicht nur dem Patienten, auch seiner Familie“, sagt Friederike Göke. Im vergangenen Jahr habe Henri zum Glück eine Nierentransplantation bekommen. Er sei nun fünf Jahre alt, besuche eine Kita „und er singt jeden Tag“.

Junge Patienten sind dankbar für Zeitvertreib und Motivation

Kreativtherapeutin Simone Götz betreut auf der Palliativstation Patienten, die am Ende des Lebens stehen. Oft sei das ein harter Abschied mit dauerndem Unwohlsein und großer Erschöpfung. „Das Malen gibt den Menschen eine Auszeit.“

Neuerdings holt sie auch junge Krebspatienten ins Atelier, selbst wenn die wie Eva, Kevin und Maja erst abwehren: Sie könnten gar nicht malen. „Jetzt bin ich Simone total dankbar für die schöne Zeit. Es hat gut getan, nicht nur im Bett ‘rumzuliegen. Es hat mich an schweren Tagen aufgebaut“, sagt Eva. Es habe die Zeit sehr erleichtert, stimmt Maja zu. Und Kevin, nach eigener Aussage ein Zahlenmensch, dankt der Therapeutin, „dass sie mich angeschubst hat“. Die drei Mittzwanziger waren monatelang in Behandlung, da sei schon der pure Zeitvertreib wertvoll, dazu komme, sagt Kevin, „der Gedanke, dass auch etwas Gutes dabei ‘rumkommt“.

Bei der Bestrahlung müssen Krebspatienten individuell gefertigte Netzmasken tragen (l.). Kunsttherapeutin Annelie Ender lässt Kinder und Jugendliche die oft als unangenehm empfundenen Masken persönlich gestalten: Ein junger Patient ließ sich von Spiderman inspirieren.
Bei der Bestrahlung müssen Krebspatienten individuell gefertigte Netzmasken tragen (l.). Kunsttherapeutin Annelie Ender lässt Kinder und Jugendliche die oft als unangenehm empfundenen Masken persönlich gestalten: Ein junger Patient ließ sich von Spiderman inspirieren. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Etwas Gutes daraus machen – dabei hilft auch Kunsttherapeutin Annelie Ender, die Kinder und Jugendliche mit Hirn- oder Kopf-Hals-Tumoren begleitet, die bestrahlt werden müssen. Damit eine punktgenaue Bestrahlung möglich ist und die Patienten keine unwillkürliche Bewegung machen, tragen sie dabei eine individuell angefertigte Netzmaske. Die liegt eng am Gesicht an und wird als unangenehm empfunden. Annelie Ender lässt die Kinder die Masken bemalen: „Sie müssen viel erdulden, da tut es gut, mal aktiv etwas zu tun.“ Bunte Punkte haben sie auf die Masken gemalt, ein breites Grinsen – oder Spiderman. Als Superheld lässt sich manches besser ertragen.