Essen. Ein bekannter Wahltrend, hohe Mobilisierung und Corona-Sorgen: Unterm Strich könnte dies die Zahl der Briefwähler in ungeahnte Höhen treiben.

Stell Dir vor, die Wahllokale öffnen – und keiner geht mehr hin: Der sonntägliche Spaziergang zur Stimmabgabe mit anschließendem Pläuschchen auf dem Schulhof, er kommt aus der Mode. Stattdessen gibt’s lange zuvor zwei wohlüberlegte Kreuzchen am Küchentisch bei Kaffee und Kuchen, und dann ab die Post. Ein Trend, der sich bundesweit beobachten lässt und der in Essen eine neue Schallmauer durchbrochen hat: Für die bevorstehende Wahl am 26. September haben bereits 100.000 Wahlberechtigte Briefwahl-Unterlagen beantragt. Absoluter Rekord.

Und dies, obwohl die Zahl der Wahlberechtigten verglichen mit 2017 um mehr als 11.000 auf knapp 409.000 abgenommen hat und noch zweieinhalb Wochen lang weitere Anträge eingehen dürften. Setzt sich die Nachfrage fort, könnten am Ende gut und gerne 140.000 Briefwahl-Anträge stehen, so schätzt Guido Mackowiak vom Wahlamt der Stadt. Das wären 43.000 mehr als vor vier Jahren, als bereits nahezu jede dritte Stimme – genauer: 31,4 Prozent – vor dem eigentlichen Wahltag in der Urne landete.

Zur Kommunalwahl ein Briefwahl-Rekord – nicht zuletzt aus Angst vor der Corona-Welle

So wird eine Ausnahme schleichend zur Regel: 1957 hierzulande eingeführt, um vor allem alten, kranken und behinderten Menschen die Stimmabgabe zu erleichtern, blicken Wahlexperten längst mit einer gehörigen Portion Skepsis darauf, dass bei Wahlen eine große Ungleichzeitigkeit ausgebrochen ist: Wenn die einen sich im Lichte der jüngsten Ereignisse am 26. September in der Wahlkabine entscheiden, haben die anderen den Akt schon seit Wochen hinter sich.

Viele Wege führen zur Stimmabgabe

Wer die Briefwahl beantragen will, nutzt dafür die Rückseite der Wahlbenachrichtigungskarte und sendet sie in einem frankierten Umschlag ans Wahlamt der Stadt Essen. Die Unterlagen lassen sich aber auch per Brief oder Fax oder formlos per E-Mail an wahl@essen.de beantragen.

Möglich ist auch eine Direktwahl im Erdgeschoss des Rathauses am Porscheplatz – täglich von 8.30 bis 16 Uhr. Dabei ist der Personalausweis mitzubringen.

Wer bis zum 26. September warten will: Die Stimmabgabe im Wahlraum ist auch ohne Wahlbenachrichtigungskarte unter Vorlage des Personalausweises möglich. Wer nicht weiß, in welchem Wahlraum die Stimmabgabe am Wahlsonntag erfolgen kann, kann die Wahlraumsuche auf www.essen.de nutzen oder beim Wahlamt unter der Rufnummer 88-12345 erfragen.

Mit über 97.000 Vorab-Stimmen markierte die Bundestagswahl vor vier Jahren den Höchststand, prozentual gesehen lag der Anteil zur Kommunalwahl dagegen noch höher: 39,8 Prozent der Wählerinnen und Wähler mieden im September 2020 die Stimmabgabe im Wahllokal, geschuldet sicher auch der Sorge, angesichts der damals aufkommenden zweiten Corona-Welle auf Nummer sicher zu gehen.

Warum eigentlich Briefwahl? Seit 2008 müssen keine Gründe mehr angeführt werden

Ein Jahr später sind 59 Prozent doppelt und weitere 10 Prozent immerhin einmal gegen Covid-19 geimpft, doch der Trend scheint ungebrochen. Noch ist unklar, ob der Briefwähler-Anteil noch einmal neue Höhen erklimmt, denn niemand weiß, wie viele Menschen zur Wahl gehen. Bei einer Wahlbeteiligung von 73,9 Prozent wie bei der letzten Bundestagswahl würden 140.000 Briefwähler einen Anteil von über 46 Prozent markieren. Bei einer um zehn Prozentpunkte steigenden Beteiligung läge der Anteil immer noch bei über 40 Prozent.

Der Boom der Briefwahl, er dürfte nicht zuletzt auch dem Umstand zu verdanken sein, dass man auf dem Antragsformular lange Zeit Hinderungsgründe für die Urnenwahl angeben musste. Ob die nun immer stimmten oder nicht: Seit der Bundestagswahl 2009 ist das nicht mehr nötig.