Essen. Marode Wachen, zu wenige Kräfte: Gutachten sieht riesigen Reformbedarf bei Essens Feuerwehr - eine Mammutaufgabe, die zig Millionen verschlingt.

Bei der Essener Feuerwehr brennt’s, und die Stadt ist alarmiert, seitdem ein Gutachter die Behörde an der Eisernen Hand gnadenlos auf Stärken und Schwächen geprüft hat. Nun liegt eine 128 Seiten starke Analyse vor, die sich Brandschutzbedarfsplan schimpft und zu einem Ergebnis kommt, das mancher als niederschmetternd empfinden könnte: Die Behörde muss sich stadtweit neu aufstellen, um auch zukünftig ihren gesetzlichen Aufgaben gerecht werden und ihre Leistungsfähigkeit bei angemessener Wirtschaftlichkeit erhalten zu können.

Das klingt nach einer Mammutaufgabe und ist es auch: Essen verändert sich zusehends, da kann gerade die Wehr nicht auf der Stelle treten. Allerorten entstehen neue potenzielle Einsatz- und Risikogebiete - das 1700 Quadratmeter große Areal „Freiheit Emscher“ mit 90 Hektar auf Essener Stadtgebiet und einem Mix aus Wohnen, Gewerbe und Industrie an der Grenze zu Bottrop, „Essen 51“, das neue Riesen-Stadtviertel mit mehr als 1500 Wohnungen im Krupp-Gürtel, und reihenweise neue Häuser im Süden, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, die mit großen Herausforderungen an die Sicherheit daherkommen.

Neue Feuerwehr-Wachen sollen im Süden und Norden entstehen

Um mit dieser Entwicklung mithalten zu können, steht die Essener Feuerwehr vor einem Dekadenprojekt der Runderneuerung, das absehbar zig Millionen Euro kosten wird: Neue zusätzliche Wachen müssen im Süden für Kettwig und Werden sowie im Norden entstehen. Nach geeigneten Grundstücken wird bereits gesucht.

Viele der zehn Standorte der Berufsfeuerwehr sind inzwischen so marode, dass es wirtschaftlicher ist, sie abzureißen und neu zu bauen. Auch bei der Freiwilligen Feuerwehr „besteht an fast allen Standorten baulicher Handlungsbedarf in teils größerem Umfang“, heißt es in der Untersuchung.

Dringenden Handlungsbedarf sehen die Experten in den Berufsfeuerwehr-Wachen Borbeck, Kray und Kettwig. Dächer sind marode, es gibt Schimmelfraß, Laufwege bergen Unfallgefahren, es gibt keine nach Geschlechtern getrennte Dusch-, Umkleide- oder Toilettenräume. Und dass Rettungswege ausgerechnet in Feuerwehrstandorten fehlen und mancherorts noch nicht einmal der Brandschutz gegeben ist, kommt schon als Treppenwitz daher.

Am Standort Stadthafen muss „unverzüglich“ gehandelt werden

Schlimmer noch ist es am Stadthafen, wo „unverzüglich“ gehandelt werden müsse, um Sicherheit, Gesundheit und Hygiene wieder gewährleisten zu können. Einige provisorische Ruheräume befinden sich im Keller, Einsatzkleidung wird in einem Holzschuppen gelagert und das Gebäude ist von Ungeziefer befallen.

Der Essener Stadthafen zählt zu den Risikogebieten in der Stadt. Die dortige Feuerwehrwache ist aber marode.
Der Essener Stadthafen zählt zu den Risikogebieten in der Stadt. Die dortige Feuerwehrwache ist aber marode. © Remo Tietz

Doch nicht nur in Steine, sondern auch in Menschen muss die Feuerwehr massiv investieren. Es braucht auf Sicht deutlich mehr Personal und damit mehr Ausrüstung für mehr Funktionen an mehr künftigen Standorten und auf Fahrzeugen, um stadtweit innerhalb von 8 Minuten an einem Einsatzort eintreffen zu können. Von einer 150 Mann und Frau starken Verstärkung, die eigentlich notwendig wäre, ist bereits die Rede. Nur weiß noch niemand, woher all die Kräfte kommen sollen. Gute Leute sind rar.

Über eine Essener Kinderfeuerwehr sollte nachgedacht werden

Um eine gewisse Entlastung schaffen zu können, soll zumindest geprüft werden, ob einige der 16 Einheiten der Freiwilligen Feuerwehr, die rund 550 Aktive stellt, mancherorts stärker in Einsätze einzubinden ist. Da dazu auf Sicht allerdings eine verlässliche Größenordnung von Freiwilligen dazu bereit, willens und in der Lage sein müsste, um sicher planen zu können, sollte die Stadt darüber nachdenken, nicht nur eine Jugend-, sondern auch eine Kinderfeuerwehr zu unterhalten, die es bislang nur in anderen Kommunen gibt.

Nicht nur zu Land, auch zu Wasser muss die Feuerwehr Essen nachrüsten.   
Nicht nur zu Land, auch zu Wasser muss die Feuerwehr Essen nachrüsten.    © Mike Filzen

Zusätzliche Millionenausgaben fallen absehbar jedoch nicht für Sanierungen von Wachen und Gerätehäusern sowie beim Personal, sondern auch beim Fuhrpark an: Denn über die bisherigen regelmäßigen Ersatzbeschaffungen hinaus sieht der Gutachter einen Bedarf von 25 zusätzlichen Fahrzeugen zu Wasser und zu Lande - vom Einsatzleitwagen bis hin zum Mehrzweckboot für den Baldeneysee.

Feuerwehr Essen fuhr 156.149 Einsätze im vergangenen Jahr

Trotz dieser zum Teil widrigen Umstände hat Essens Feuerwehr im vergangenen Jahr einmal mehr den größtmöglichen Einsatz für den Schutz der Essener Bevölkerung gezeigt: Im vergangenen Jahr 2020 fiel durchschnittlich alle drei Minuten und 23 Sekunden ein Einsatz an. Insgesamt rückten die Retter 156.149 Mal aus, dazu kam die Dauerherausforderung durch die Corona-Pandemie. Rein rechnerisch waren das 426 Einsätze pro Tag.

Wie aus dem aktuellen Jahresbericht hervorgeht, gab es pandemiebedingt weniger Einsätze im Rettungsdienst und Krankentransporte, die über 91 Prozent der Aufgaben ausmachten.

Bei Bränden und Hilfeleistungen rettete die Feuerwehr Essen 36 Menschen aus lebensbedrohlichen Situationen. Für drei kam jede Hilfe zu spät, sie starben bei Feuern. Insgesamt wurden 1118 Brände erfolgreich bekämpft.

5503 Mal lautete die Alarmierung „Technische Hilfeleistung“, dazu zählen neben Verkehrsunfällen auch etwa Türöffnungen, Ölspuren oder Trageunterstützungen für den Rettungsdienst und Krankentransport.

Im Rettungsdienst sanken die Zahlen leicht auf insgesamt 142.671 Einsätze, bei 70.633 Alarmierungen handelte es sich um Notfälle. 19.261 Mal wurde ein Notarzt hinzugezogen.