Essen. Datenschutzbeauftragte rügt massenhafte Übermittlung von sensiblen Daten auf Polizei-Handys. Gewerkschaft der Polizei spricht von einem Skandal.

Die umstrittene massenhafte Weitergabe von über 12.700 Telefonkontakten auf Polizistenhandys bei den Ermittlungen gegen mutmaßlich rechtsextremistische Netzwerke bei der Polizei Essen/Mülheim bleibt nicht ohne politische Konsequenzen: Die SPD-Fraktion im NRW-Landtag erwartet in der Sitzung des Innenausschusses am 2. September eine Antwort auf die Frage, wie die Landesregierung eine aktuelle Stellungnahme der Landesdatenschutzbeauftragten zur sogenannten Massendatenabfrage durch die ermittelnde „BAO Janus“ des Polizeipräsidiums Bochum bewertet.

Denn die obersten NRW-Datenschützer haben dem behördlichen Vorgehen ein vernichtendes Urteil ausgestellt: Nach monatelanger Prüfung steht für sie nach Informationen dieser Zeitung nun fest, dass für die Weitergabe der sensiblen Daten keinerlei Rechtsgrundlage bestanden habe.

Gewerkschaftsvertreter ist „schier entrüstet“

Dass also durch ein offenbar mehr als zweifelhaftes Handeln vom Amts wegen selbst völlig unbescholtene Beamte und Bürger, Journalisten, Bäcker und Friseure etwa, also letztlich alle Personen, deren Kontaktdaten sich auf den überprüften Handys von zwei Dutzend Verdächtigen fanden, ins Visier geraten und in die Nähe von Ermittlungen gegen rechtsextremistische Umtriebe gerückt worden sind - „das halte ich für einen Skandal“, sagte Heiko Müller, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) für Essen und Mülheim, am Montag auf Nachfrage: „Ich bin schier entrüstet.“

Die Verhältnismäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen „hätte genauer geprüft werden müssen“, ist Müller überzeugt. Dass die auch nur ansatzweise gewahrt sei, daran hatte die GdP bereits schon im März massive Zweifel geäußert. Nun sieht man sich vollumfänglich durch die Landesdatenschutzbeauftragte bestätigt. Zuvor war bereits ein von der SPD im Landtag beauftragtes Gutachten zu dem Schluss gekommen, dass durch die Ermittlungsarbeit der „BAO Janus“ massiv in Grundrechte eingegriffen worden sei.

Die Daten sollen an über 20 Behörden gegangen sein

Die überwiegend privaten Daten wurden tatsächlich sehr breit gestreut. Wie das Innenministerium einräumte, seien sie an über 20 Behörden gegangen, an das Bundeskriminalamt, alle Landeskriminalämter, an den Verfassungsschutz oder die Bundespolizei, um nur einige Beispiele zu nennen. So sollte möglichst engmaschig überprüft werden, ob die ins Visier geratenen Personen Verbindungen zu bekannten rechtsextremistischen Netzwerken unterhielten, hieß es. Laut Innenministerium ergaben die Überprüfungen der 12.700 Kontakte am Ende nicht mehr als 26 Treffer.

Das Innenministerium hatte sich auf Paragraf 27 des NRW-Polizeigesetzes als Ermächtigungsgrundlage für den Massen-Abgleich berufen. Doch die NRW-Datenschutzbeauftragte hält dagegen: Mit der Übermittlung an weitere Sicherheitsbehörden liege keine weitere Bearbeitung durch dieselbe Behörde mehr vor, die zulässig, aber auch notwendig gewesen wäre. Auch hätte eine Weitergabe der Erfüllung derselben Aufgabe dienen müssen. Doch die Ermittlungen seien durch die Verbreitung der Telefonnummern, die bei einem mutmaßlich Verdächtigen gefunden wurden, sogleich auf weitere Personen ausgedehnt worden.

Daten weitergegeben ohne konkrete Ermittlungsansätze

Vielmehr hätte für die Übermittlung einer jeden einzelnen Telefonnummer nach Einschätzung der Datenschützer ein konkreter Ermittlungsansatz vorliegen müssen. Alles andere würde eine Datenverarbeitung „ins Blaue hinein“ bedeuten, die schlicht unzulässig sei. In der Causa Janus Jedoch wurden wohl sämtliche Kontakte übermittelt, bevor die vorliegenden Daten überhaupt ausgewertet worden waren. Damit waren die gesetzlichen Voraussetzungen für das Vorgehen nicht erfüllt, heißt es.

Zusätzlich fordert die Landesdatenschutzbeauftragte, die eine Stellungnahme des Innenministeriums erwartet, die Behörden dazu auf, alle Betroffenen, deren Daten im Zuge der Ermittlungen unerlaubt weitergegeben worden sind, unverzüglich anzuschreiben, so Heiko Müller: „Unser Rechtsempfinden war also von Beginn an richtig.“