Essen. Pro Asyl – sie suchen das Gespräch mit Politikern und protestieren auf der Straße: Seit 30 Jahren steht Pro Asyl Essen Geflüchteten zur Seite.

Geburtstag und Abschied – beides kann Pro Asyl/Flüchtlingsrat Essen in diesem Jahr feiern: Vor 30 Jahren entstand der Verein, dessen langjährige Vorsitzende Kathrin Richter jetzt ihr Amt abgibt. Ein großes Fest ist coronabedingt nicht möglich, darum blickt der Verein in einer Broschüre auf eine Arbeit zurück, in der Weltgeschichte und Stadtgeschehen eng verwoben sind.

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Kathrin Richter hat das schon früh in ihrer Kirchengemeinde in Kettwig erlebt, wo sich die Grundschullehrerin seit den 1980er Jahren in der Eine-Welt-Arbeit engagierte. „Es begann mit einem Kaffeetrinken für ghanaische Flüchtlinge“, erinnert sie sich. Und wer Menschen hilft, hier Fuß zu fassen, gerät zwangsläufig in Berührung mit Paragrafen und Behörden, mit Ausländerrecht und Aufenthaltsstatus.

Vom Kümmern zu Kampagnen

Wie viele Ehrenamtliche leiteten auch Kathrin Richter und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter daraus politische Forderungen ab, fanden sich bei Demos wieder, kamen vom Kümmern zu Kampagnen. „Dabei wurde uns klar, dass wir uns zusammentun müssen, um ein stärkeres Wort vorbringen zu können.“ So schlossen sich die bunten Initiativen mit dem schon länger existierenden Flüchtlingsrat zusammen, stellten ihm den Namen Pro Asyl voran.

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„Wir haben als lockerer Zusammenschluss angefangen und Beratung oft aus dem Bauch heraus gemacht. Aber damals war das Asylrecht auch noch nicht so kompliziert“, erinnert sich Kathrin Richter. Mit der wachsenden Komplexität der Materie ging eine Professionalisierung einher: Pro Asyl mietete eigene Räume, stellte feste Mitarbeiter an, erhielt den öffentlichen Auftrag und damit auch Mittel für die Flüchtlingsberatung.

Demos gegen die Pläne der Stadt hatten Erfolg

Vor der Pandemie saßen die Menschen oft dicht gedrängt auf den Fluren: Jeder ein Einzelschicksal und Spiegel der aktuellen Krisenherde zugleich; vom Balkankrieg bis zur Verfolgung der Jesiden, von der Terrororganisation Boko Haram bis zum Bürgerkrieg in Syrien. Wie ihnen der deutsche Staat und die Essener Nachbarn begegneten, hing oft von der Zahl und der Herkunft der Menschen ab.

„Dabei wurde uns klar, dass wir uns zusammenschließen müssen, um ein stärkeres Wort vorbringen zu können“, sagt die Pro-Asyl-Vorsitzende Kathrin Richter über die Anfänge vor 30 Jahren.
„Dabei wurde uns klar, dass wir uns zusammenschließen müssen, um ein stärkeres Wort vorbringen zu können“, sagt die Pro-Asyl-Vorsitzende Kathrin Richter über die Anfänge vor 30 Jahren. © Pro Asyl

Als Wendepunkt bezeichnet Kathrin Richter den Plan der Stadt, Asylbewerbern statt Geld nur noch Sachleistungen auszugeben: Ein Vorstoß, der auf Sinti und Roma-Familien aus Mazedonien und Serbien gemünzt war, die laut Stadt jeden Winter aufs Neue in Essen um Asyl baten, hier Leistungen bezogen – und im Frühjahr freiwillig in ihre Heimatländer zurückkehrten, um einer Abschiebung zu entgehen.

Pro Asyl sprach von „Abschreckungspolitik“ und suchte den Kontakt den Ratsfraktionen: „Wir haben mit den Politikern gesprochen, sind auf die Straße gegangen, haben protestiert.“ Mit Erfolg: Im Jahr 2013 stoppten Grüne, Linke und SPD das Vorhaben im Rat.

Auch Oberbürgermeister Kufen bekennt sich zu Pro Asyl

Es gab und gibt weitere Reibungspunkte, ob es um den Umgang mit langjährig Geduldeten geht, die Art der Unterbringung oder die Seebrücke-Forderung, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Gleichzeitig ist Pro Asyl auch zu einem festen Ansprechpartner der Stadt geworden, der Hilfe organisiert und Integration begleitet: Auf der Feier zum 25-jährigen Jubiläum verriet Oberbürgermeister Thomas Kufen, dass er selbst Pro-Asyl-Mitglied sei und nannte die Arbeit der Aktivisten „unverzichtbar“.

Mit der um 2015 steigenden Zahl von Flüchtlingen habe sich auch das Team weiter vergrößert, erzählt Kathrin Richter. „Nicht immer ließen sich dabei die Ehrenamtlichen so einbinden, wie sie es sich wünschten.“ Darum habe der Vorstand, den sie aktuell noch kommissarisch leitet, gerade beschlossen, die Organisationsstrukturen umzubauen. Die Freiwilligen, die oft in Kleiderkammern, Sprachcafés oder am Runden Tisch aktiv waren, sollen neue Aufgaben finden: „Sie sind sehr engagiert und bringen wichtige Kenntnisse mit.“

Das gelte auch für verschiedene Communitys etwa aus Guinea oder Afghanistan, die sich bei Pro Asyl treffen: Um sie alle besser zu vernetzen und ihnen auch weiterhin Anlaufstelle zu sein, suche man nun zusätzliche Räumlichkeiten; auch das Weltcafé könnte dann zurückkehren.

Kathrin Richter wird sich nach 15 Jahren im Vorstand und zehn Jahren als Vorsitzende bei der Mitgliederversammlung im Oktober nicht mehr zur Wahl stellen. Die 74-Jährige versichert aber: „Ich war von der ersten Stunde dabei – und ich bleibe weiter aktiv.“