Essen. Aus 150 Elektro-Rollern sind binnen zwei Jahren fast zehn Mal so viele geworden. Die Meinungen über Sinn und Zweck sind nach wie vor kontrovers.

Fast zwei Jahre ist es nun her, dass auf dem Willy-Brandt-Platz in der Essener City der Startknopf gedrückt wurde für die ersten 150 elektrisch betriebenen Mietroller in der Stadt. Da war die wahre Welle des neuen Vortriebs, an dem sich von Beginn an die Geister schieden, allenfalls zu erahnen. Inzwischen rollen mit über 1300 E-Scootern bald zehn Mal so viele durch Essen wie damals. Allein seit dem Juni des vergangenen Jahres hat sich die Zahl der Flitzer nach Angaben der Stadt mehr als verdoppelt.

Dennoch scheint der Markt noch nicht gesättigt zu sein. Der in Essen zweitgrößte Anbieter „Tier“, der sich zuletzt in Richtung Huttrop und Steele ausgedehnt hat, beabsichtige demnächst, seine Flotte von aktuell etwa 400 Fahrzeugen zu erweitern, heißt es aus dem Rathaus. Und das größte Unternehmen „Lime“ hat erst Anfang Juli die ersten Roller in Werden und Umgebung aufstellen lassen, was im Essener Süden durchaus für konträre Diskussionen sorgte.

Wirklich ein Mehr an nachhaltiger Mobilität

Während die einen darin ein Mehr an moderner wie nachhaltiger Mobilität sehen, fürchten andere den ständigen Ärger durch Roller-Vandalen, die die Gefährte nach einer Tour, die übrigens durchschnittlich keine zwei Kilometer lang ist, rücksichtslos in der Gegend verteilen, anstatt sie sorgsam abzustellen - mit allen erdenkbaren Umweltrisiken etwa durch beschädigte Lithium-Zellen.

Doch unabhängig von der umstrittenen Frage, ob die E-Scooter nicht zuletzt auch aus ökologischer Sicht tatsächlich eine gewinnbringende Größe im Portfolio der Fortbewegungs-Möglichkeiten sind oder nicht - steht eins fest: Sie sind ein zunehmendes Sicherheitsrisiko.

In dem Maße, in dem die Flotte weiter flexibel der Nachfrage angepasst wird, wie es ein „Lime“-Sprecher formuliert, und genau deshalb kontinuierlich wächst, hat die Zahl der Unfälle und Verstöße mit den Gefährten im Straßenverkehr zugenommen. Das zeigt eine Statistik der Polizei deutlich.

156 Verkehrsverstöße mit E-Scootern in 2021 registriert

21 verunglückte E-Rollerfahrer zählte die Behörde allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. Im gesamten Jahr zuvor waren es 19 Verletzte. Dazu kommen binnen eines halben Jahres aktuell 156 Verstöße auf den zwei Rädern, darunter 20 Fahrten unter Alkohol und 30 unter Drogen. Auch in puncto Verkehrssünden dürfte im laufenden Jahr damit eine neue Höchstmarke erreicht werden. Denn für das komplette 2020 wirft die Behördenstatistik 196 Fälle aus, bei denen die Regeln des Straßenverkehrs missachtet wurden - dazu gehört auch die Tour zu zweit oder die verbotene Fahrt über Gehwege oder durch Fußgängerzonen.

Diese Bilder gibt es auch: E-Scooter sorgsam aufgereiht am Willy-Brandt-Platz in der Essener Innenstadt.
Diese Bilder gibt es auch: E-Scooter sorgsam aufgereiht am Willy-Brandt-Platz in der Essener Innenstadt. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Was spätestens dann Wolfgang Packmohr als Sprecher der Essener Ortsgruppe des bundesweiten Vereins „Fuss e.V.“ auf den Plan ruft. Schon als Chef der Verkehrsdirektion der Essener Polizei hat der frühere Polizeidirektor kein gutes Haar an der Roller-Offensive gelassen. Nach zwei Jahren sieht sich der Pensionär in seiner Einschätzung bestätigt: „E-Scooter sind ein Spielzeug für Erwachsene. Für die Nahmobilität brauchen wir die Dinger nicht, die oftmals rücksichtslos abgestellt werden.“

Dann werden die Kraftfahrzeuge, „die vom zuständigen Bundesamt so niemals hätten zugelassen werden dürfen“, zu einem zusätzlichen Risiko und zu „eklatanten Hindernissen“ - insbesondere für Verkehrsteilnehmer mit Handicaps wie Rollstuhlfahrer oder Blinde, so Packmohr.

Gewerkschaft der Polizei will Verleiher stärker in die Pflicht genommen sehen

Während die Polizei Essen sich als Behörde inzwischen aus der „politischen Diskussion“ über das Für und Wider der Elektroroller lieber heraushält, fordert die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Essen, „die Verleiher stärker in die Pflicht zu nehmen“, um die Sicherheitsrisiken durch wild geparkte Fahrzeuge zu minimieren. Zudem appelliert der Kreisgruppen-Vorsitzende Heiko Müller an die Nutzer, „zur eigenen Sicherheit einen Helm zu tragen, um schwerwiegenden Unfallfolgen vorzubeugen“. So weit wie die Landes-GdP, die eine Helmpflicht forderte, will Müller allerdings nicht gehen.

Nach zwei Jahren E-Scooter glaubt der Gewerkschafter jedenfalls nicht mehr daran, dass man aufs Auto verzichtet, um auf einen Roller umzusteigen, während „Lime“ als größter und Vermieter der ersten Stunde in Essen betont, dass man insgesamt mit der Auslastung in Essen „sehr zufrieden“ sei, wie ein Sprecher betont: „Das ist für uns ein klares Indiz dafür, dass E-Scooter für viele Menschen inzwischen zu einem alltäglichen Fortbewegungsmittel in der Stadt geworden sind.“

Ruhr und Baldeneysee sind Scooter-freie Zone

Die Stadt Essen betont eine „hohe Kooperationsbereitschaft aller Anbieter, die Probleme und Beeinträchtigungen durchweg zeitnah beheben und Vorgaben seitens der Verwaltung umgehend berücksichtigen“. Ähnliche Vorfälle wie beispielsweise in Köln oder Düsseldorf, wo Roller im Rheinzu hunderten „entsorgt“ wurden, seien an der Ruhr nicht bekannt. Zumal entlang des Flusses und rings um den Baldeneysee Scooter-freie Zone sei.

Die Essener Verkehrsbehörde, sie scheint inzwischen recht zufrieden zu sein: Es gingen „nur noch selten Beschwerden in Zusammenhang mit der E-Scooter-Nutzung im Stadtgebiet“ ein. Deshalb, so heißt es, bestehe „aktuell kein Bedarf an weiteren Regeln“, während andere Kommunen über Nachtfahrverbote nachdenken, um das Fahren unter Alkohol und Drogen sowie den Vandalismus einzudämmen.