Essen. Mit wenigen Aktiven und einem Bollerwagen fing es 2016 an. Fünf Jahre später hat sich die Essener Obdachlosenhilfe „Fairsorger“ fest etabliert.

Der Anfang war ausgesprochen bescheiden. Ein Dutzend Aktivisten zogen an einem verregneten Winterabend mit dem Bollerwagen durch die Essener City, um obdachlosen und bedürftigen Menschen eine warme Suppe und einen heißen Tee zu reichen. Die Initiative „WddN Essen e.V.“ heißt längst „Fairsorger“, jetzt wurde das fünfjährige Bestehen des Vereins begangen.

Es ist eine Erfolgsstory, auf die die mittlerweile 40 ehrenamtlich Aktiven zurückblicken – allein schon in statistischer Hinsicht. „In fünf Jahren ist nicht ein einziger Versorgungstag ausgefallen“, sagt die Vorsitzende Ingrid Steinhauer-Sarr. 785 Mal haben die „Fairsorger“ bedürftige Menschen versorgt. Noch immer sprechen sie von „Touren“, dabei haben sie schon seit mehreren Jahren einen festen Standort an der Rückseite der Kirche St. Gertrud zur Viehofer Straße hin.

Die „Fairsorger“ stehen bei Wind und Wetter bereit - auch an Heiligabend und Silvester

Egal ob es schneit und friert oder Rekordhitze herrscht: die „Fairsorger“ sind immer montags, mittwochs und freitags an Ort und Stelle – selbst wenn ein Versorgungstag auf Heiligabend oder Silvester fallen sollte. Neben warmen Speisen und heißen Getränken gereicht werden fast immer auch Hygieneartikel – vom Shampoo bis zur Haftcreme – sowie Kleidung ausgegeben. „Es sind Dinge des täglichen Bedarfs“, so die Vorsitzende.

Spender und Sponsoren

Die Fairsorger finanzieren sich ausschließlich aus Spenden. Die Mercator-Stiftung etwa gab während Corona 10.000 Euro. Mit Hilfe dieser Spende seien spezielle Care-Pakete verteilt worden - an einem Abend an 135 Gäste, der Höchstzahl in fünf Jahren.

Das meiste Geld spülten Kleinspender in die Kasse der Fairsorger, heißt es. Sachspenden gebe es sowohl von Bäckereien als auch vom großen Discounter. Die Facebook-Seite „Fairsorger Essen“ gibt einen Überblick die Sponsoren.

Neue Teammitglieder sind willkommen. Die Fairsorger bieten Hospitanzen an.

Kein Wunder, dass sich der Verein im Laufe der Zeit eine solide Infrastruktur geschaffen: Ein ehemaliger Handwerksbetrieb in der Essener Innenstadt ist zu einem Lager umgenutzt worden, in dem all die Dinge aufbewahrt werden, die an den „Touren-Tagen“ über die provisorische Theke gehen. Außerdem verfügen die „Fairsorger“ inzwischen über einen eigenen Transporter. Dessen Anschaffung sei ermöglicht worden durch die maßgebliche Unterstützung Peter Renzels, des Essener Sozialdezernenten. Dieser habe freiwillig eine „Tour“ mitgemacht und selber Essen ausgegeben. Später habe es eine 15.000-Euro-Spende einer Krupp-Stiftung gegeben. „Auch die Zusammenarbeit mit den Essener Sozialbehörden funktioniert reibungslos“, sagt Ingrid Steinhauer-Sarr.

Bedürftige werden „Gäste“ genannt – ihre Zahl hat sich deutlich erhöht

Die Obdachlosen und Bedürftigen, die sich eine warme Mahlzeit abholen, nennen die „Fairsorger“ respektvoll „Gäste“. Bei den ersten Bollerwagen-Touren sei die Zahl der Gäste noch überschaubar gewesen. Inzwischen kommen regelmäßig 60 bis 65. Es seien nicht nur Menschen, die sich überwiegend in der Innenstadt aufhielten, sondern auch Leute aus Altendorf, Altenessen oder Rüttenscheid. Für die Zunahme der Gäste gebe es zwei Gründe: Zum einen nehme die Bedürftigkeit zu, zum anderen habe sich der Erfolg der „Fairsorger“ herumgesprochen. Womöglich könnte die Zahl der Gäste noch höher sein. Doch oft hält das Schamgefühl die Bedürftigen zurück. Als Bittsteller oder “gescheiterte Existenz“ aufzutreten und die Hand aufzuhalten, das koste Überwindung.

Erst vor kurzem habe es wieder einen anrührenden Fall gegeben. „Eine bedürftige Person ist beklaut worden.“ Portemonnaie, Geld, Karten und Dokumente: alles sei weg gewesen. „Der Mann stand wie ein Häufchen Elend vor uns, aber wir haben ihn aufgefangen.“ Ebenfalls erfreulich: Im Laufe von fünf Jahren hätten die „Fairsorger“ vielen Bedürftigen einen Weg zurück in die Normalität geebnet.

An die inzwischen verstorbenen Gäste erinnern zwei Stelen an der St. Gertrud-Kirche. „Jedes Mal, wenn jemand von uns geht, veranstalten wir eine kleine Trauerfeier“, sagt Ingrid Steinhauer-Sarr.