Essen-Rüttenscheid. Drei Jahre hat es gedauert, bis an einem Essener Gymnasium die Stelle des Schulleiters neu besetzt wurde. Warum so viel Zeit ins Land ging.
Eigentlich sollte Rainer Severin nur für kurze Zeit kommissarisch das Helmholtz-Gymnasium leiten. Es wurden daraus drei Jahre. Nun aber geht der dienstälteste Lehrer der Schule doch in den Ruhestand, denn die Besetzung des Schulleiterpostens ist geklärt.
Durch juristisches Hin und Her verzögerte sich die Neubesetzung
Dabei ist diese Personalfrage ein Kapitel für sich: Als die Vorgängerin Beate Zilles in Pension ging, hofften alle auf eine schnelle Neubesetzung. Doch es folgte ein langes rechtliches Hin und Her, ausgelöst durch einen im Bewerbungsverfahren unterlegenen Kandidaten, der der aber schließlich gerichtlich scheiterte, was zu einer Neuausschreibung der Stelle führte. Während eines kleinen Festaktes erhielt Nadine Lietzke-Schwerm in dieser Woche ihre Ernennungsurkunde. Sie war fünf Jahre lang stellvertretende Leiterin der Goetheschule und seit Jahresbeginn der Alfred-Krupp-Schule, hatte zuvor einen Lehrauftrag an der TU Dortmund und war für die Qua-Lis, Landesinstitut für Schule, tätig. Jetzt macht sie sich an die Arbeit, um ihre neue Wirkungsstätte kennen zu lernen. Richtig losgehen wird es damit erst nach den Sommerferien, doch bis dahin sind noch reichlich Vorbereitungen zu treffen, wie die 47-Jährige erklärt.
Zurück zu Rainer Severin: Als er ans Helmholtz kommt, schreiben wir das Jahr 1982. Der heute 67-Jährige gebürtige Essener hat seine Examen in Mathematik und Physik absolviert und damit in den beiden Fächern, die während der eigenen Schullaufbahn seine Leistungskurse waren. Mathe, so gaben es ihm seine Eltern mit auf den Weg, sollte man können, weil es im Leben eine wichtige Rolle spielt. Für Physik wiederum kann sich Rainer Severin seit Kindheitstagen begeistern. Wie die Gesetze der Natur funktionieren, diese Frage habe ihn immer wieder angespornt und in ähnlichem Maße faszinieren ihn bis heute auch die Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis, sei es in der Astro- oder der Quantenphysik.
Viele Schüler zum Physikstudium motiviert
Für viele Phänomene habe der Mensch noch keine Erklärung gefunden, erläutert Severin. Wenn man im Unterricht an solche Stellen gerate, erlange dieser gern auch philosophische Züge. Auf viele Schüler wirkte eine solche Herangehensweise an das Fach Physik derart motivierend, dass sie es später selbst studierten. Dabei hat Rainer Severin in jungen Jahre sehr mit sich gehadert, wohin für ihn die Reise gehen sollte. Musik ist seine große Leidenschaft - und bis heute geblieben. Er spielt unter anderem Oboe in verschiedenen Ensembles. Damals entschied er sich doch für die Physik, das Fach hatte für ihn mehr Zugkraft.
Rund 1000 Schüler besuchen das Rüttenscheider Gymnasium
Rainer Severin lebt in Rüttenscheid. Der Familienvater hat drei Kinder und drei Enkel. Das Helmholtz-Gymnasium trägt auch den Titel Sportschule. Damit ist gemeint, dass pro Jahrgang eine Klasse den Schwerpunkt Sport hat und somit eine entsprechende Stundenzahl.Die Ursprünge des Gymnasiums an der Rosastraße reichen bis ins Jahr 1864 zurück. Die heute rund 1000 Schülerinnen und Schüler werden von 80 Lehrkräften unterrichtet.
Der scheidende Pädagoge war es schließlich, der an dem geschichtsträchtigen Gymnasium den Schwerpunkt MINT etablierte. Die vier Buchstaben stehen für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Damit setze die Schule die Tradition als naturwissenschaftliches Gymnasium fort, sagt er. Diese Orientierung habe dazu geführt, dass man über die Jahrzehnte hinweg - nicht zuletzt dank städtischer Unterstützung - ein umfangreiches Sortiment an Lehr- und Lernmitteln habe aufbauen können.
„Schule übernimmt immer mehr Aufgaben des Elternhauses“
Schule, sagt Severin rückblickend, komme gar nicht umhin, sich immer wieder auf neue Entwicklungen einzugehen. Einen wesentlichen Wandel betreffe die Rolle des Lehrers. Eltern ziehen sich in den vergangenen Jahren mehr und mehr zurück, überlassen Teile der Erziehung den Schulen. Als Lehrer sei man inzwischen viel mehr gefordert, beispielsweise auch das Lebensumfeld der Schüler im Blick zu behalten.
Dass nun fast die Hälfte seiner Amtszeit als kommissarischer Schulleiter von der Pandemie bestimmt sein würde, war für den Essener noch mal eine besondere Herausforderung. Natürlich betraf das nicht nur ihn, sondern das gesamte Schulsystem, das eine solche Veränderung auch erst einmal bewältigen müsse. Die Reaktionen auf Distanzunterricht seien ganz unterschiedlich ausgefallen, sagt Severin. Auch wenn er nun nicht mehr im Dienst ist, denkt er an die Schüler, die sich mit dem Lernen allein im Home Office schwer taten. Gerade sie müsse man im Auge behalten und sich um sie kümmern. Corona habe darüber hinaus wohl allen Schulen auch gezeigt, wie wichtig Digitalisierung ist - und dieser Prozess werde noch mit Riesenschritten weitergehen. Er selbst will seine freie Zeit vor allem offenen Fragen der Physik zuwenden, den die ist und bleibt sein Metier.