Essen. OB Kufen bewertet einen Welterbe-Status für das Ruhrgebiet als „rückwärtsgewandt“. Es gibt aber auch einen egoistischen Grund für die Ablehnung.

Die Stadt Essen positioniert sich klar gegen das Vorhaben, die „Industrielle Kulturlandschaft Ruhrgebiet“ bei der Unesco für den Weltkulturerbe-Status anzumelden. Die Gefahr sei zu groß, dass die damit verbundenen Signale als „rückwärtsgewandt“ verstanden würden, erklärte Oberbürgermeister Thomas Kufen: „Wir wollen kein Museumsdorf sein.“ Die zu starke Beschäftigung mit Industriedenkmälern sei für die Profilierung einer Region mit fünf Millionen Einwohnern schädlich. Neben Essen haben noch Bochum und Gelsenkirchen den von der Stiftung Industriedenkmalpflege forcierten Antrag abgelehnt, 41 Ruhrgebietsstädte stimmten aber zu.

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Die Vorlage der Stadtverwaltung, über die möglicherweise schon am Mittwoch der Stadtrat entscheidet, lässt in seiner ungewöhnlicher Drastik kein gutes Haar an der Idee. Schon der Begriff sei irreführend, da es eine industrielle Kulturlandschaft nicht mehr gäbe, erhalten blieben vielmehr „eher denkmalgeschützte Inseln“. Diese seien bereits jetzt ausreichend im öffentlichen Bewusstsein verankert und bedürften „keiner Betonung durch weitere Schutzinstrumente“.

Der Aufwand für die Bewirtschaftung eines Welterbes werde unterschätzt, warnt Essen

Essen sorgt sich vor allem um die wirtschaftliche Weiterentwicklung, wenn neben anderen Interessenvertretern auch die Unesco auf den ehemaligen Industrieflächen mitreden dürfe. „Die Erfahrungen der Stadtverwaltung Essen bei der Bewirtschaftung des Welterbes Zollverein lassen erahnen, welcher Aufwand mit der Verwaltung eines Welterbes Industrielle Kulturlandschaft Ruhrgebiet auf die Beteiligten zukommen würde“, heißt es mahnend. Mit „extrem langen“ und komplizierten Abstimmungsprozessen müsse gerechnet werden, ein Aufwand, den die Stiftung Industriedenkmalpflege „verkannt“ habe und für es keine Ressourcen gebe.

Das umtreibt auch den Oberbürgermeister, der auf den den gescheiterten Versuch verweist, auf Zollverein das Gründerzentrum Euref-Campus mit zunächst geplanten 2000 Arbeitsplätzen zu etablieren. Dass dies nicht gelang, hing zwar nach Meinung vieler Beteiligter nicht nur an den Komplikationen des Welterbe-Status, Kufen zufolge war dies aber ein wichtiger Grund, dass der Campus nun nach Düsseldorf geht.

OB sorgt sich um den Verlust der Exklusivität für Zollverein

Der OB sagt offen, dass es auch einen weiteren Grund gibt, der ihn zur Ablehnung bewegt: „Bisher gibt es mit Zollverein nur eine Welterbestätte in der Region. Gäbe es weitere, wäre die Exklusivität weg und der Zugang zu den Fördertöpfen schwieriger für uns“. Kufen räumt ein, dass dieses Argument egoistisch wirkt, doch ihm als Essener Stadtoberhaupt müsse es erlaubt sein, die Interessen der Stadt Essen klar zu formulieren.

Wenig überraschend, dass vor diesem Hintergrund auch der Stiftungsrat Zollverein das Vorhaben kritisch sieht, bemerkenswert sind aber Teile der offiziellen Begründung: Ein Welterbe-Status könne die Region „in ein schwer zu moderierendes und mitunter kaum aufzulösendes Spannungsfeld zwischen Bewahrung und Zukunftsgestaltung führen und den erforderlichen Wandlungsprozess im Ruhrgebiet erschweren oder gar hindern“, wird der Zollverein-Rat in der Verwaltungsvorlage zitiert. Für eine Institution, die selbst Welterbe ist, ist diese Diagnose beachtlich.

Gegenwind für die Welterbe-Initiative kam allerdings nicht nur von den drei größten Städten im zentralen Ruhrgebiet, auch eine Expertenjury im Auftrag des Landes NRW bewertete den Antrag der Stiftung Industriedenkmalpflege als unausgegoren. Der Antrag sei völlig überfrachtet mit einer „zu großen und nur bedingt schlüssigen Anzahl an unterschiedlichen Elementen“, hieß es. Insgesamt hat die Stiftung 132 einzelne Standorte aufgeführt, die den Welterbe-Status begründen sollen.

Welterbe-Status als Tourismus-Köder? Nachteile überwiegen die Chancen

Ein Argument der Befürworter ist die bessere touristische Vermarktbarkeit der gesamten Region. Und auch hier setzt die Stadt Essen andere Prioritäten. Richard Röhrhoff, als Leiter der Essen Marketing GmbH so etwas wie der oberste Essener Touristiker, warnte vor geraumer Zeit, Essen dürfe sich nicht auf die Industriekultur verengen lassen, da das Interesse Auswärtiger nicht überschätzt werden dürfe.

Die städtische Vorlage variiert diese Einschätzung so: „Eine Verbesserung, die aus dem Entstehen eines neuen Welterbes entstehen könnte - beispielsweise für den Tourismus - erscheint aus heutiger Sicht im Verhältnis des zu erbringenden zusätzlichen Aufwands nicht gerechtfertigt.“