Essen. Museum Folkwang zeigt die erste Überblicksschau zum fotografischen und filmischen Werk von Tobias Zielony. Skater-Rampe wird dabei zum Treffpunkt
Ein Fotograf wie Tobias Zielony hat es schwer gehabt in Zeiten der Ausgangssperre. Denn seine Bilder entstehen oft bei Nacht, wenn sich die Dunkelheit wie ein Schutzmantel um die jugendlichen Protagonisten legt, die Zielonys Werk seit 20 Jahren bevölkern. Sie leben in den heruntergekommenen Vorstädten von Marseille, treffen sich an neonleuchtenden Tankstellen der Republik, begegnen sich im queeren Underground von Kiew oder an einer Skater-Rampe vorm Düsseldorfer Apollo-Theater. Diese Übung vom Stürzen und wieder Aufrappeln gibt der Ausstellung denn auch den Titel, mit der das Museum Folkwang den bislang umfassendsten Überblick über das vielfältige Werk des Wuppertaler Foto- und Videokünstlers präsentiert: „The Fall.“
Eine abstrahierte hölzerne Skater-Plattform empfängt auch den Museums-Besucher – als Treffpunkt und Zentrum der jüngsten Zielony-Arbeit, die wie ein Panorama der Pandemie Menschen und Momente in rund 40 über- und hintereinander hängenden Bildern versammelt. Die Praxis eines sich permanent erneuerenden und überschreibenden Archivs kennzeichnet Zielonys Arbeitsweise, deren Reiz sich nicht nur aus der Begegnung mit Menschen unterschiedlicher Nationen von Japan bis Malta ergibt, sondern auch aus der Auseinandersetzung mit einer veränderten medialen Welt. Über Instagram ist Zielonys Community heute einerseits steter Empfänger seiner Arbeit, aber auch Quelle der Inspiration.
Nah dran zu sein an der Jugend und ihren sozialen Codes, an ihrer Suche nach Identität und Zugehörigkeit, das hat Zielonys Werk geprägt. Das Museum Folkwang zeigt frühe Arbeiten des hoch gehandelten Timm-Rautert-Schülers wie die Serie „Curfew“ von 2001. Das Porträt einer straffälligen Jugendgang in Bristol, zu deren Auflagen auch eine nächtliche Ausgangssperre gehörte, wirkt nun wie eine Vorschau auf das vertraute Leben im Lockdown. „Ha Neu“ zeigt junge Menschen beim nächtlichen Nichtstun vor der Plattenbau-Tristesse von Halle. Während im gleißenden Sonnenlicht des kalifornischen Wüsten-Kaffs „Trona“ die Weite der Landschaft zum Ausdruck von Leere und Perspektivlosigkeit wird – an dem Ort, der für die Christal Meth-Produktion bekannt ist.
Video-Projekt führt in den nördlichen Stadtrand von Neapel
Zielony ist kein journalistischer Spürhund, kein dokumentarischer Aufdecker. Und doch reizen ihn immer wieder die sozialen Brennpunkte, die dunklen und verbotenen Orte, wie die futuristische Wohnanlage in Neapel, die durch die Verfilmung von Roberto Savianos Camorra-Buch „Gomorrha“ bekannt wurde. Tage und Wochen hat Zielony den Ort umkreist, sich Zugang verschafft und unzählige Fotos zu einem Video zusammengefügt, das in seinem tonlosen Stop-Motion-Rhythmus an den frühen Stummfilm erinnert. Während er für „Die Untoten/The Undead 2020“, einer Verarbeitung der NSU-Verbrechen, Künstler im trashigen Splattermovie-Look in den Kampf von Gut und Böse schickt.
Bilder sind bei Zielony nicht nur Beobachtungen, sondern auch Störfeuer gegen gesellschaftliche Festlegungen. 2015 hat er für den Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig Flüchtende fotografiert. Nicht als Opfer von Armut, Krieg und Vertreibung, sondern als mutige Aktivisten, die sich für gemeinsame Reportagebeiträge in Szene zu setzen wussten. Es ist Zielonys Erleben nach 20 Jahren Fotografie zwischen analogem Bild und Selfie: Aus anfänglicher Naivität sei große Professionalität der Menschen im Umgang mit dem Bild und der Selbstdarstellung geworden.
Skate-Workshop im Museum
Zur Ausstellung gehört auch ein umfangreiches Begleitprogramm. Unter dem Motto „Learn to Fall“ gibt es beispielsweise einen Stunt-Workshop mit Stunt-Frau Linnéa Tullius (21. August).Den Körper zu drehen und kontrolliert zum Stürzen zu bringen, das gehört zum „Voguing“. In die Kunst dieser Tanzform führt Miro Mitrovic vom Tanzhaus NRW am 5. September ein. Ein Skate-Workshop mitten im Museum ist das Programmhighlight zum Schluss am 25. September.
Tobias Zielony: „The Fall“, 25. Juni-26. September, Museum Folkwang, Museumsplatz, Tickets 8/erm. 6 €. www.museum-folkwang.de