Neapel. Schüsse mitten in Neapel zeigen, dass die Mafia überall präsent ist. Ein Streit darüber ist entbrannt. Im Mittelpunkt: Autor Roberto Saviano.
Die Via Annunziata in Neapel ist eine Straße unweit des Hauptbahnhofes, der Kathedrale, der Straße der traditionellen Krippenbauer. Und nicht zuletzt unweit einer der bei Touristen beliebtesten Pizzerien der Stadt, der Pizzeria da Michele. Wäsche hängt vor maroden Fassaden. Wer hier entlang geht, dem kann zuweilen schon etwas mulmig zumute werden. Verfallen und dreckig ist es an manchen Ecken, Straßenhändler - oft Migranten - verkaufen in der Gegend billige Taschenkopien, CDs und anderen Ramsch.
Hier ging vergangene Woche eine Zehnjährige mit ihrem Vater entlang, um Geschenke für den Dreikönigstag zu kaufen. Dann fielen Schüsse, eine Kugel traf ihr Bein. Seitdem ist eine erbitterte Debatte um die Mafia entbrannt, in die sich einer der berühmtesten Anti-Mafia-Aktivisten Italiens, der Autor Roberto Saviano ("Gomorrha"), eingeschaltet hat.
Denn Auslöser der Schüsse war wohl ein Streit zwischen Migranten und der Camorra. Es heißt, es sei um erhöhtes Schutzgeld gegangen, das die Händler für ihre "Verkaufsstände" nicht an die Mafia zahlen wollten. Die Zehnjährige wurde zufällig Opfer des nicht enden wollenden Fluchs der Camorra, der über Italiens drittgrößter Stadt hängt. Auch drei Migranten wurden verletzt.
Autor macht Bürgermeister verantwortlich
Der Bürgermeister der Stadt versuchte zwar, zu beschwichtigen. Neapel sei keine unsichere Stadt, sagte Luigi de Magistris. Auch die vielen Touristen würden dafür sorgen, dass mehr los sei und damit mehr Sicherheit herrsche. Doch der Funken zündete nicht wirklich.
Saviano, der in seinem Buch "Gomorrha" die Brutalität der Camorra beschrieb und Namen sowie Orte klar benannte, machte den linksliberalen Bürgermeister für das Desaster mitverantwortlich. "Er ist seit sechs Jahren im Amt, aber spricht, als hätte er gerade erst angefangen", warf der 37-Jährige dem Stadtoberhaupt vor. De Magistris rühme sich, dass Neapel einen Touristenboom erlebe, verkenne aber, dass die Stadt immer noch von der Mafia zersetzt werde.
Neapel erlebte zuletzt in der Tat einen Touristenboom, und auch die Bilder der schlimmen Müllkrise gehören der Vergangenheit an. Doch viele tiefsitzenden Probleme bestehen noch immer: Die Arbeitslosigkeit ist überdurchschnittlich hoch, vor allem unter Jugendlichen. Viele junge Leute wandern ab - oder suchen eben bei der Mafia Unterschlupf.
Vorwürfe der Mafia-Kommerzialisierung
Saviano wurde selbst in Neapel geboren. Er lebt aber seit der Veröffentlichung von "Gomorrha" unter Polizeischutz an einem unbekannten Ort. Nicht nur bei Mafia-Themen meldet er sich aber immer noch regelmäßig zu Wort.
Der Bürgermeister, der früher als Staatsanwalt prominent gegen Korruption kämpfte, keilte sogleich zurück. "Ich kann nicht glauben, dass Dein Erfolg mit den Schüssen der Camorra wächst", schrieb de Magistris an Saviano. "Du baust dir auf dem Rücken Neapels ein Imperium auf. Mit unserer Anstrengung, unserem Leiden, unserem Kampf wirst du reich. Wie traurig."
Mit dem Vorwurf der "Mafia-Kommerzialisierung" lebt Saviano seit längerem. Auch als Nestbeschmutzer, also einer, der das Ansehen Neapels, ja ganz Italiens beschädige, wurde er schon mehrmals beschuldigt - unter anderem von Italiens Ex-Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi.
Dialog ist wichtig
Aber schweigen will er nicht. Für den Bürgermeister seien "nicht die Killer, die schießen, das Problem, sondern ich, der darüber redet", erwiderte Saviano.
Am Wochenende schaltete sich der oberste Anti-Mafia-Staatsanwalt des Landes in den Streit ein. "Die Wirklichkeit in Neapel ist schon so ausreichend komplex, dass sie in keinem Fall solche Auseinandersetzungen braucht", sagte Franco Roberti der Zeitung "La Repubblica". Menschen wie Saviano und de Magistris sollten einen Dialog führen, denn ihre Debatte spiele letztlich nur denen in die Hände, die den Zerfall der Stadt wünschten. (dpa)