Essen. Am Islamischen Bestattungsfeld des Hallo-Friedhofs in Essen gab es zuletzt häufig Ärger. Wir begleiteten den größten islamischen Bestatter.
Es ist einer dieser sehr heißen Juni-Tage. Die Sonne steht hoch über dem Islamischen Bestattungsfeld auf dem Hallo-Friedhof, die wenigen Bäume auf der Anhöhe spenden etwas Schatten. Gleich um Punkt zwölf wird es die nächste Beisetzung geben. Bevor der Imam seine Stimme zum Totengebet erhebt, stellt der Treckerfahrer der Friedhofsverwaltung die Planierarbeiten ein. Derselbe Ort, der in den letzten Monaten immer wieder für Stress, Streit und Schlagzeilen sorgte, ist jetzt das, was er sein soll: ein würdevoller Ort der Ruhe und der Trauer.
Ein Kind wird beigesetzt und am Grab stehen nur trauernde Männer
Hicham El Founti (29), Geschäftsführer des islamischen Bestattungsinstitutes Al-Rahma („die Barmherzigkeit“), verfolgt das Geschehen aus gebührender Entfernung. Es ist sein Institut, das diese Trauerfeier organisiert. „Ein Kind aus der syrischen Community wird beigesetzt“, sagt er leise.
Vor Abdullah Hussein, dem Imam, stehen fast zwei Dutzend Männer in einer Reihe und halten beim Gebet die Hände vors Gesicht. Frauen können an Beerdigungen teilnehmen, sie müssen es aber nicht.
Heute sind keine Frauen zugegen. Womöglich sei der Schmerz darüber, dass ein geliebtes Kind aus ihrer Mitte gerissen wurde, einfach zu groß. Der herzzerreißende Augenblick des Abschiednehmens für immer soll ihnen jetzt erspart bleiben.
Bestattungsinstitut Al-Rahma in Essen ist das größte islamische in NRW
Gräber, die von El Fountis Institut angelegt werden, sind an den kleinen Holztafeln mit schwarzen Metallschildern zu erkennen, in die die Namen der Verstorbenen eingraviert sind. Auf nahezu der Hälfte der neuen Gräber stehen diese Holztafeln. „Unser Bestattungsinstitut ist das größte islamische in ganz Nordrhein-Westfalen.“
Dass es ist Essen ansässig ist, überrascht nicht. Das Islamische Bestattungsfeld auf dem Hallo-Friedhof ist eines der ältesten und zugleich größten der Republik. „Deshalb werden auch Muslime aus ganz Deutschland hier beigesetzt, sie suchen die Nähe zu Verwandten.“
Der alte Mann zählt das Alter der jungen Verstorbenen auf: „20, 24, 33 . . .“
Ein älterer Mann mit Kopfbedeckung begrüßt neu ankommende Friedhofsbesucher mit einem freundlichen „Salam Aleikum“. Er sei Libanese, sagt er, und deutet auf die vielen Gräber, die in den letzten Monaten hinzugekommen sind. Sehr junge Menschen seien zu oft Opfer der schrecklichen Pandemie geworden. „Schauen Sie“, sagt der Mann und zählt ihr Alter auf. „20, 24, 33 – einfach schrecklich.“ Der Bestatter fügt hinzu: „Die Zahl der Sterbefälle ist nach wie vor hoch.“
Grabfelder, die erst im nächsten oder übernächsten Jahr angelegt werden sollten, sind schnell hergerichtet worden – und auch schon fast wieder voll belegt. „In den letzten Monaten gab es hier vormittags beinahe stündlich Beisetzungen“, sagt Hicham El Founti. Die rasant gestiegene Sterberate bei Muslimen sei nicht abzusehen gewesen.
Er steht vor dem Grab einer Muslimin, die nur 60 geworden ist. „Wahrscheinlich wäre sie in die Türkei überführt worden, um in ihrem Herkunftsland bestattet zu werden“, sagt er. „Aber wegen Corona waren die Grenzen ständig dicht.“ Vielen Angehörige sei keine andere Wahl geblieben, als ihre Verstorbenen in Essen zu beerdigen.
Der Großvater fand 1964 als marokkanischer Gastarbeiter Arbeit auf einer Essener Zeche
Der junge Bestatter ist gebürtiger Essener, er hat am Nordost-Gymnasium das Abitur gemacht und danach Medienökonomie studiert. Auf Essen und die Region ist er stolz. „Ich bin ein Kind des Ruhrgebiets.“ Sein Großvater, ein marokkanischer Gastarbeiter, sei 1956 nach Frankreich ausgewandert und 1964 nach Essen gekommen. „Er war Bergmann unter Tage.“ Sein Vater habe das Bestattungsinstitut 1995 aufgebaut, er und sein Bruder sind seit dem vergangenen Jahr Geschäftsführer. Neben dem Institut in Essen-Karnap gibt es noch Filialen in Düsseldorf und Wuppertal.
Es liegt im Wesen des Bestatterberufs, dezent, geräuschlos und würdevoll zu sein. Auch nach den zahlreichen und zum Teil massiven Beschwerden der letzten Monate hält sich Hicham El Founti demonstrativ zurück und sagt: „Wir haben großes Interesse an einer friedlichen Lösung.“
Grün und Gruga hat aktuell keine Planungen für das Modellflug-Gelände
Muslimische Beerdigungen auf dem Hallo-Friedhof, erst recht die von Großfamilien, entwickeln sich immer wieder zu Großveranstaltungen. Dann werden sehr häufig Straßen und Einfahrten im Umfeld zugeparkt, es gibt Respektlosigkeiten und empörte Anwohner, und immer wieder sind die Ordnungskräfte im Einsatz. Vorläufiger Höhepunkt: Die Spuckattacke muslimischer Friedhofsbesucher gegen den Jugendwart des Modellflug-Sportvereins nebenan.
Die Bezirksvertretung Zollverein plädiert für einen Erweiterungs-Stopp und will islamische Beisetzungen auf Friedhöfe jenseits des Bezirks und jenseits von Essen verteilt wissen. Essen dürfe nicht der Zentralfriedhof fürs Ruhrgebiet sein, heißt es. Die beim Stadtbetrieb Grün und Gruga angesiedelte Friedhofsverwaltung teilt mit, für die vom Modellflugverein gepachtete Erweiterungsfläche aktuell keine Planungen zu haben.
Hicham El Founti lobt das Engagement der Friedhofsverwaltung
Der Chef des Al-Rahma-Instituts würde es gerne sehen, wenn Muslime sich künftig auch auf dem 2020 neu angelegten Islamischen Bestattungsfeld des Nordfriedhofs Altenessen beisetzen ließen. Die marokkanische Community etwa nutze dieses neue Angebot bereits intensiv.
Grün und Gruga prüft derzeit weitere Möglichkeiten, weist aber darauf hin, dass nur begrenzt Flächen für islamische Bestattungen zur Verfügung stünden. Hinzu komme: Die Wohnortnähe und die Nähe zu bereits bestatteten Angehörigen spiele eine große Rolle bei der Wahl des Friedhofs.
Hicham El Founti lobt das Engagement der Friedhofsverwaltung und auch das Tempo beim Erschließen dringend benötigter neuer Grabfelder. „Was die Friedhöfe in Essen betrifft“, sagt er, „können wir stolz sein.“