Essen. Missbrauchsopfer im Bistum Essen sollen sich künftig Gehör verschaffen können. Warum der neue Betroffenenbeirat unabhängig sein soll.

Um bei der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs voranzukommen, soll im Bistum Essen ein Betroffenenbeirat ins Leben gerufen werden. Der erste Schritt dazu war vor wenigen Tagen ein Treffen von 40 Missbrauchsopfern – vom ehemaligen Heimkind bis zum Messdiener. Teilnehmer der Veranstaltung berichten, dass dabei Tränen geflossen sind und die schleppende Entschädigung durch die katholische Kirche gerügt wurde. Spätestens im November, so der Zeitplan, soll der Betroffenenbeirat zum ersten Mal zusammentreten.

122 Opfer sexualisierter Gewalt hatte das Bistum angeschrieben. 70 hätten ihr Interesse an der Gründung des Betroffenenbeirates bekundet und 49 ihre Teilnahme am Treffen fest zugesagt. Dass am Ende 40 von ihnen – bei tropischer Hitze und beschwerlicher Anreise – den Weg in die Akademie Wolfsburg fanden, spreche für eine bemerkenswerte Resonanz, so Bistumssprecher Ulrich Lota.

Betroffenenbeirat soll Opfern eine Stimme im Aufarbeitungsprozess geben

Bischof Franz-Josef Overbeck sprach Klartext: „Es ist sicher sehr schwer, einer Institution Vertrauen zu schenken, die Ihr Vertrauen einst schändlich missbraucht hat und deren Vertreter schreckliche Verbrechen begangen haben.“ Ziel des künftigen Betroffenenbeirates, so Generalvikar Klaus Pfeffer, sei es, den Betroffenen eine Stimme und die Möglichkeit zu geben, ihre Belange, Anliegen und Interessen in die laufenden Aufarbeitungsprozesse einzubringen.

Eines der 40 Missbrauchs-Opfer, die beim Auftakt in der Wolfsburg dabei waren, ist ein ehemaliges Heimkind des Franz Sales Hauses. Der mittlerweile 65-Jährige ist Mitte der 1960er Jahre nicht nur Opfer der Arzneimittelversuche des berüchtigten Anstaltsarztes Dr. Waldemar Strehl geworden, er versichert ebenso glaubhaft, dass der Heimleiter und die Ordensschwestern ihn wie auch andere Zöglinge sexuell missbraucht und körperlich gezüchtigt hätten. Weil die Kirche solche Missbrauchsfälle jahrzehntelang unter den Teppich kehrte, begegnet der 65-Jährige der Aufarbeitung jetzt mit einer Mischung aus Hoffnung und Skepsis.

Bischof bedauert Langsamkeit: „Dafür kann ich nur um Entschuldigung bitten“

Bis Ende Juli sollen Betroffene mitteilen, ob sie im neuen Betroffenbeirat im Bistum Essen mitarbeiten wollen. Mitte November soll sich das fünf bis neun Mitglieder zählende Gremium konstituieren. Es sei Sache der Betroffenen, wen aus ihrer Mitte sie für die nächsten drei Jahre in den Beirat entsenden wollen. Unabhängige Experten und zwei Seelsorgerinnen stehen ihnen als Ansprechpartner zur Verfügung. Eine Re-Traumatisierung wollen die Bistums-Verantwortlichen ausdrücklich vermeiden.

Betroffenenbeirat hat maximal neun Mitglieder

Betroffenenbeirat: Moderiert wurde die Auftaktveranstaltung von Stefanie Zunft. Ansprechpartnerin im Bistum Essen für Verdachtsfälle sexualisierter Missbrauchs ist Dr. Anke Kipker

Das Gremium soll sich aus fünf bis neun Personen zusammensetzen. Um ihre Legitimität zu erhöhen, werden die gewählten Mitglieder vom Bischof berufen.

Das Bistum Essen hat für Fragen und Informationen zu sexualisierter Gewalt den Stabsbereich Prävention und Intervention eingerichtet. Telefon: 0201 2204 230/249.

Generalvikar Klaus Pfeffer unterstrich, dass der Beirat weisungsunabhängig sei und die künftigen Mitglieder „gefragt und ungefragt ihre Anliegen und Fragen einbringen können und sollen“. Darüber hinaus werden Mitglieder des neuen Beirates künftig auch in der Aufarbeitungskommission und im Beraterstab des Ruhrbistums mitarbeiten. Bischof Overbeck betonte, dass das Bistum den Missbrauch weiter aufarbeiten und den Betroffenen Gehör verschaffen wolle. „Das hätte viel eher geschehen müssen. Dafür kann ich nur um Entschuldigung bitten.“

Zum Teil heftige Kritik übten die Betroffenen an der schleppenden Anerkennung und der sich ständig hinauszögernden Entschädigung. Einige Teilnehmer warfen den Bischöfen vor, auf Zeit zu spielen. Die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen arbeite viel zu langsam. Auch Generalvikar Klaus Pfeffer beklagte den „Bearbeitungsstau“ dieser Kommission. Zusammen mit Bischof Overbeck habe er sich für eine effizientere Arbeitsweise eingesetzt. „Bislang leider noch ohne Erfolg.“