Bochum. Bischof Overbeck hat sich für den Missbrauchsfall in einer Bochumer Gemeinde entschuldigt. Gegen den Priester werden neue Vorwürfe bekannt.

„You’ll never walk alone“, du wirst nie alleine gehen, verheißt ein Transparent neben dem Altar. Dabei haben sich die Mitglieder in St. Joseph schmerzhaft alleingelassen gefühlt, nachdem 2019 bekannt wurde, dass ein Priester jahrelang in ihrer Gemeinde gewirkt hat, obwohl er wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger zuvor mehrfach rechtskräftig verurteilt worden war. Am Totensonntag fanden die Gläubigen wenn keine Versöhnung, so doch Trost: In einem bislang wohl beispiellosen Akt in der Geschichte der katholischen Kirche in Bochum wurde während der Messe eine Entschuldigung des Bischofs verlesen.

„Nach fast 13-jährigem Wirken ist Pfarrer Nikolaus A. in der Gemeinde St. Joseph in den verdienten Ruhestand gegangen.“ So berichtete die WAZ im Mai 2015 (damals mit voller Namensnennung) über den feierlichen Abschied des Geistlichen an der Geitlingstraße. Was seinerzeit in weiten Teilen der Wattenscheider Gemeinde nicht bekannt war: Der heute 87-jährige Priester hat sich des Mißbrauchs von Kindern und Jugendlichen schuldig gemacht.

Missbrauch: Bericht listet Verbrechen auf

In den 60er, 70er und 80er Jahren verübte A. in Essen, Münster und Köln mehrere Sexualstraftaten an minderjährigen Jungen. Zudem nutzte er die Dienste von jugendlichen Strichern und hatte sexuelle Kontakte mit Jungen während seiner Urlaubsaufenthalte in Sri Lanka. So listet es ein vom Bistum Essen in Auftrag gegebener Untersuchungsbericht einer Kölner Anwaltskanzlei auf. „Nachdem er in seiner Dienstwohnung bzw. in einem Gebüsch am Güterbahnhof in Duisburg erneut gegenüber zwei zehn bzw. 13 Jahre alten Jungen übergriffig wird, wird er im Juni 1988 festgenommen (...). Vom Landgericht Duisburg wird er im Februar 1989 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird“, heißt es in dem Bericht.

Dennoch wurde A. nach seiner Pensionierung 2002 als sogenannter Ruhestandsgeistlicher vom Bistum Essen nach Wattenscheid entsandt, wo er eine kircheneigene Wohnung bezog und bis 2015 seelsorgerisch in der St.-Joseph-Gemeinde wirkte – mutmaßlich geschützt durch das das kirchliche Credo: schweigen, wegducken, weggucken. „Beschämt“ zeigt sich darüber Bischof Franz-Josef Overbeck. Der Einsatz sei „aus heutiger Perspektive unverantwortlich“ gewesen. „Ein Priester, dem Sexualstraftaten nachgewiesen worden sind, darf nicht mehr in der Seelsorge tätig werden“, schreibt Overbeck in seiner dreiseitigen Erklärung, in der er auch persönliche Verantwortung übernimmt. Als Bischof, der er seit 2009 ist, „hätte ich den dringenden Handlungsbedarf erkennen und entsprechend handeln müssen.“ Stattdessen habe es „eine Verkettung von Fehlleistungen, Versäumnissen und Missständen“ gegeben.

In bedrückter Stimmung betraten die Gemeindemitglieder die Joseph-Kirche in Wattenscheid. Der Fall des wegen Missbrauchs verurteilten Priesters hat tiefe Spuren hinterlassen.
In bedrückter Stimmung betraten die Gemeindemitglieder die Joseph-Kirche in Wattenscheid. Der Fall des wegen Missbrauchs verurteilten Priesters hat tiefe Spuren hinterlassen. © FFS | Gero Helm

Bistum verspricht, aus Fehlern zu lernen

„Die Entschuldigung nehme ich dem Bischof ab“, sagt Burkhard Bukowski, Vorstandsmitglied des St.-Joseph-Gemeinderates. Der Untersuchungsbericht indes lasse mehr Fragen offen, als er Antworten gebe. Den Hinweisen auf die „erbärmliche“ (Bukowski) Vergangenheit des Priesters hätte das Bistum viel früher nachgehen und den inkriminierten Geistlichen unverzüglich aus der Gemeinde abziehen müssen.

Untersuchungsbericht steht im Internet

Die dreiseitige Erklärung mit der Entschuldigung von Bischof Overbeck wurde nach der Sonntagsmesse an die Besucher in der St.-Joseph-Kirche verteilt.

Sowohl der Brief als auch der komplette, vom Bistum Essen in Auftrag gegebene Untersuchungsbericht einer Kölner Anwaltskanzlei zum „Fall A.“ kann im Internet nachgelesen werden: www.bistum-essen.de

Overbeck verspricht, aus den Fehlern zu lernen. Eine bundesweite „Personalaktenordnung“ solle gewährleisten, dass die Vita von Geistlichen bei Wechseln zwischen Diözesen künftig lückenlos dokumentiert wird, kündigte Gemeindepastor Klaus Reiermann am Sonntag beim Verlesen der Overbeck-Erklärung vor den coronadezimierten 50 Gottesdienstbesuchern an.

Priester hat sich nie wieder gemeldet

Als „eine Art Abschluss“ wertet Burkhard Bukowski die Worte und Ankündigungen Overbecks – „immer in der Hoffnung, dass nicht doch noch sexuelle Straftaten des Priesters auch in unserer Gemeinde bekannt werden“. Darüber gibt es nach wie vor keine Erkenntnisse.

A. habe sich bis heute niemals persönlich geäußert, schildert der Gemeinderat. „Seit 2015 lebt er in einem Altenheim in Essen. Er hat im ganzen letzten Jahr nie die Notwendigkeit gesehen, sich uns gegenüber zu erklären.“