Essen. Der Ausstoß von Treibhausgasen ist in Essen stark zurückgegangen. Warum die Klimaneutralität bis 2030 dennoch eher unwahrscheinlich ist.
Von Bottrop lernen heißt siegen lernen? Essens Nachbarstadt gilt als „Blaupause für den klimaneutralen Stadtumbau“, ist es dort doch im Rahmen des vielbeachteten Projektes „Innovation City“ gelungen den Ausstoß an klimaschädlichem Kohlendioxid innerhalb von zehn Jahren um die Hälfte zu senken.
Auch in Essen drängen Klimaschützer, die Stadt möge sich ehrgeizigere Ziele beim Klimaschutz setzen: 2030 soll die Ruhrmetropole „klimaneutral“ sein, der Ausstoß an Treibhausgasen soll spätestens dann vollständig kompensiert werden. Ende Juni wird sich der Rat der Stadt damit befassen. Fest steht: Die Stadt müsste ihre Anstrengungen erheblich forcieren. Die von der Stadtverwaltung vorgelegte Klimabilanz wirft die Frage auf, ob eine Klimaneutralität bis 2030 überhaupt realistisch ist.
Das städtische Umweltamt hat die Entwicklung des Energieverbrauchs und der Treibhausgas-Emissionen von 1990 bis 2018 unter die Lupe genommen. In diesem Zeitraum ist der Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen um 37,5 Prozent zurückgegangen – von 6,81 Millionen Tonnen im Jahr 1990 auf 4,26 Millionen Tonnen 2018. Das heißt: Will Essen 2030 klimaneutral sein, müsste die gesamte Stadt in nicht einmal neun Jahren fast doppelt so viele Treibhausgase einsparen wie bisher in drei Jahrzehnten.
Im Straßenverkehr ging der Ausstoß an Treibhausgasen nur um 13,6 Prozent zurück
2018 verteilten sich die Emissionen in etwa gleich auf die Wirtschaft (1,59 Mio. t), auf private Haushalte (1,25 Mio. t) und auf den Verkehr (1,35 Mio. t) Während die beiden erstgenannten ihren Anteil um 49,5 Prozent bzw. 36,1 Prozent deutlich senken konnten, gilt dies für den Verkehr nur mit Abstrichen; der Ausstoß ging auf den Straßen lediglich um 13,6 Prozent zurück. Übrigens: Die Stadt Bottrop hat den Verkehrssektor in der Bilanz von „Innovation City“ komplett ausgespart.
Der Rückgang der Treibhausgas-Emissionen in Essen geht einher mit einem geringeren Energieverbrauch. Dieser sank gegenüber 1990 um 19,7 Prozent von 15.730 Gigawattstunden auf 12.635 Gigawattstunden 2018. Energieträger Nummer eins ist Erdgas mit einem Anteil von 23,7 Prozent (1990: 14, Prozent) vor Strom mit 22,5 Prozent (1990: 20,1 Prozent). Erneuerbare Energien spielen beim Stromverbrauch mit einem Anteil von nur 2,9 Prozent kaum eine Rolle. Heizöl ist mit einem Anteil von nur noch 8,7 Prozent (1990: 18,4 Prozent) weniger bedeutend für die Energieversorgung als noch vor rund 30 Jahren.
Der größte Anteil beim Treibhausgasausstoß entfällt auf den Stromverbrauch
Die größten Anteile beim Treibhausgasausstoß entfallen auf den Stromverbrauch mit 34,6 Prozent (1990: 40,5 Prozent), auf den Verbrauch von Diesel mit 18,9 Prozent (1990: 8,8 Prozent), auf Erdgas mit 17,4 Prozent (1990: 8,7 Prozent), auf Benzin mit 10 Prozent (1990: 12 Prozent) und auf Heizöl mit 8,3 Prozent (1990: 13,6 Prozent). Bemerkenswert ist, dass es beim Kraftstoffverbrauch eine Verschiebung von Benzin zu Diesel gegeben hat, der sich in den Emissionen widerspiegelt.
Der relativ hohe Stromverbrauch ist nach Einschätzung des Umweltamtes auf die in Essen ansässigen Industriebetriebe zurückzuführen. Wobei die Aluminiumhütte in Bergeborbeck gar nicht erst berücksichtigt wurde. Die Bilanz sähe sonst bescheidener aus, entfällt doch knapp die Hälfte (44 Prozent) des gesamten Stromverbrauchs in Essen auf die energieintensive Produktion des Leichtmetalls.
Der Anteil an Nachtspeicherheizungen ist nach wie vor überdurchschnittlich hoch
Eine Rolle spielt laut Umweltamt zudem der nach wie vor überdurchschnittlich hohe Anteil an Nachtspeicherheizungen in Essener Wohnungen, auch wenn deren Verbrauch im Vergleich zu 1990 um fast 70 Prozent zurückgegangen ist.
Was bedeutet all das für den Klimaschutz? Der bisherige Rückgang der Treibhausgasemissionen übertrifft laut Umweltamt die aktuellen Ziele. Das klang vor einem Jahr noch anders. Für eine Klimaneutralität bis 2050 oder gar 2030 seien allerdings „weitere Anstrengungen nötig“, heißt es im Bericht der Verwaltung. Angelika Siepmann, Leiterin des Umweltamtes, wird im Gespräch mit der Redaktion deutlicher: „Man muss ordentlich einen Zahn zulegen.“
Die Klimaschutz-Ziele
Im Klimaschutzabkommen von Paris haben sich die Unterzeichner-Staaten 2015 verpflichtet, die Erderwärmung gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter auf maximal zwei Grad zu beschränken. Die Stadt Essen hat sich den Klimaschutzzielen des Bundes angepasst: Der Treibhausgasausstoß soll im Vergleich zu 1990 bis 2030 um 65 Prozent gesenkt werden, bis 2040 um 85 Prozent. Im Jahr 2050 will die Stadt klimaneutral sein. Klimaschutz-Aktivisten fordern eine Klimaneutralität bis 2030.
Einsparpotenziale sieht die Stadt allen voran in der Wirtschaft. Die Unternehmen müssten ihren Ausstoß an Treibhausgasen um rund eine Million Tonnen absenken, will Essen das Ziel Klimaneutralität erreichen. Eine weitere Million Tonnen ließe sich durch die Nutzung alternativer Energieträger bei der Energieversorgung einsparen, weitere 0,65 Millionen Tonnen durch die Sanierung und den Neubau von Gebäuden. Der Verkehrssektor könnte den Ausstoß um 0,2 Millionen Tonnen reduzieren, wenn mehr Bürger auf öffentliche Verkehrsmittel oder auf E-Autos umsteigen.
Das alles sind Annahmen. Fest steht: Die Stadt kann Klimaneutralität nicht verordnen, sondern nur ihren Beitrag dazu leisten. Wichtig sei ein „sehr, sehr gutes Kommunikationskonzept“, sagt Angelika Spiemann. Soll hießen: Die Bürger müssen überzeugt werden, damit auch sie etwas für den Klimaschutz tun.