Essen-Holsterhausen. Einst für alleinstehende Frauen geplant, hat ein Hochhaus in Essen Baugeschichte geschrieben. Die weitere Entwicklung des Gebäudes überrascht.

Wenn Gebäude unter Denkmalschutz stehen, geht man gern davon aus, dass sie schon Jahrhunderte alt sind. Ganz anders verhält es sich mit dem Haus an der Hölderlinstraße 2 in Holsterhausen. Es entstand erst nach dem Krieg, gilt aber dennoch baulich als sehr wertvoll. Jetzt erfolgte die Sanierung des Komplexes, in dem das Zusammenleben der Menschen unter einem besonderen Vorzeichen steht.

Fahrstuhl und technischer Service als überzeugende Pluspunkte

Carin Müller ist auf den Rollstuhl angewiesen und war froh, an der Hölderlinstraße eine passende Wohnung gefunden zu haben.
Carin Müller ist auf den Rollstuhl angewiesen und war froh, an der Hölderlinstraße eine passende Wohnung gefunden zu haben. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Carin Müller (67) brauchte, wie sie erzählt, vor gut fünf Jahren dringend einen Tapetenwechsel, in ihrer vorherigen Wohnung fühlte sich die Essenerin nicht mehr wohl. Als Frau, die auf den Rollstuhl angewiesen ist, „schränkt sich die Auswahl an Möglichkeiten aber schon deutlich ein“. Doch schneller als erwartet und durch Vermittlung eines Pflegedienstes konnte sie in Holsterhausen einziehen. Der Fahrstuhl im Haus, schwellenloser Zugang und elektronische Türöffner waren Pluspunkte, die für den Umzug sprachen. Ebenso überzeugte sie auch, dass es sich um ein Mehrgenerationenhaus handelt, in dem das Miteinander von Jung und Alt groß geschrieben wird. Sie sollte nicht enttäuscht werden.

Mit vielen Leuten unterschiedlichen Alters steht die Essenerin im Kontakt, in Corona-Zeiten natürlich unter den gegebenen Regeln. Wenn sie mal Hilfe brauche, beispielsweise beim Einkauf, dann könne sie auf Mitmieter zurückgreifen. Dass man bis zur Pandemie mit Anderen aus dem Haus einmal in der Woche gemeinsam das Mittagessen einnehmen konnte, habe sie sehr genossen. „Wir waren immer so um die zehn Leute“. Inzwischen sorgt die Familien- und Krankenpflege (FuK) als Dienstleister dafür, dass das Essen in die Wohnungen geliefert wird. Es mache aber ihr auch nichts aus, selbst Mahlzeiten zuzubereiten, sagt Carin Müller. Sie lebt auf 45 Quadratmetern. Ihr Zwei-Zimmer-Domizil habe genau die passende Größe und sie habe es sich auch sehr gemütlich eingerichtet, hebt sie hervor.

Einst als Wohnhaus für alleinstehende Frauen konzipiert

Die Aufnahme entstand kurz nach dem Bau des Wohnhauses an der Hölderlinstraße.
Die Aufnahme entstand kurz nach dem Bau des Wohnhauses an der Hölderlinstraße. © OH

Als der zehnstöckige Trakt Mitte der 50er Jahre nach Plänen des Architekten Wilhelm Seidensticker (1909 bis 2003) entstand, war von Wohnmodellen wie Mehrgenerationenhaus noch nicht die Rede. Damals standen der Bund, die Länder und die Städte vor der Herausforderung, so schnell wie möglich viel Wohnraum zu schaffen. Das Gebäude gilt als eines der typischen Beispiele, wie platzsparend und zugleich qualitätsvoll, Stichwort Klinkerfassade, dem Bedarf entsprochen wurde. Zudem war das Haus vor allem für eine besondere Zielgruppe gedacht, nämlich für die vielen alleinstehenden Frauen, deren Männer im Krieg gefallen waren.

Zu den Ansprüchen in damaliger Zeit an die Wohnverhältnisse gehörte es, sich bei der Größe der Räume zu bescheiden. Mitunter wurden auch nur einzelne Zimmer vermietet, wovon beide Seiten profitierten, der Vermieter des Geldes wegen und der Mieter, der nun ein Dach über dem Kopf hatte. Zu diesem Zeitgeist passen auch Wohnungen, in der Wolfgang Förster lebt, sie haben nur etwa 25 Quadratmeter.

Vor gut zwei Jahren ist der Essener eingezogen und freut sich, hier einen ruhigen Ort gefunden zu haben, da genüge ihm der zur Verfügung stehende Platz. Bis zur Pandemie konnte er, wie alle anderen im Haus, an den Treffen freitagvormittags teilnehmen. Draußen in lockerer Runde zusammenzusitzen und über Gott und die Welt zu reden, das fand bei den Gästen großen Anklang und wird auch jetzt wieder ins Programm aufgenommen. Ein Kaffee-Mobil, ein umgebauter Oldtimer, den FuK mit Allbau im Schulterschluss organisiert, bietet die Möglichkeit, dass sich Mieter Heißgetränke und Brötchen holen können. Darüber hinaus sind drinnen Treffen Standard, der Pflegedienst kümmert sich dann um Kaffee und Kuchen. Nach Corona sollen sie wieder aufleben.

Rund 1,2 Millionen Euro für die Sanierung investiert

Rund 992 Baudenkmäler gibt es in der Stadt

Der Familien- und Pflegedienst (FuK) betreut rund zwei Dutzend Mieter in dem Wohnhaus und stellt auch die Mitarbeiter, die als Pförtner tätig sind und im Eingangsbereich ihr Büro haben.

Nach aktuellem Stand (April 2021) gibt derzeit 992 eingetragene Baudenkmäler.

Da es sich dabei aber auch im komplette Siedlungen handelt, die unter Schutz stehen, sind es zusammengerechnet 2293 Objekte.

Das Land stellt für 2021 insgesamt 21, 3 Mio. Euro zur Erhaltung von Denkmälern zur Verfügung. Die Stadt Essen hat in 2020 16.600 Euro mit einem Eigenanteil von 5.000 Euro an private Denkmaleigentümer weitergegeben. Für 2021 ist die gleiche Summe vorgesehen.

Nicht nur, aber auch wegen der nahen Gastro-Angebote sowie der Einkaufsmöglichkeiten zog Antonio Andrino vor gut sechs Jahren ins „Hölderlin 2“. Südviertel und Rü liegen ums Eck. „Das passt“, sagt der 27-Jährige und ihn verbindet auch ein gutes Verhältnis zu den Mietern, die eine Tür weiter leben. Das sei Nachbarschaft, wie man sie sich wünschen würde.

Überzeugt von dem gesamten Baukonzept hatte das Amt für Denkmalschutz im Rheinland vor zwei Jahren die Unterschutzstellung für die Kaupenhöhe beantragt, dem die Politik auch folgte. Der Allbau als Eigentümer hat nun für insgesamt 1,2 Millionen Euro das Gebäude rundumerneuert und das in Absprache mit den Denkmalschützern. Die Klinkerfassade wurde grundlegend saniert, beim Fassadenanstrich durch spezielle Verfahren die Ursprungsfarbe ermittelt, so sind die Balkonunterseiten jetzt in Orange gehalten. Es war aber auch an der Zeit, so Allbau, einige Reparaturen auf den Weg zu bringen, das Dach zu ertüchtigten und Abdichtungen vorzunehmen. Viel Liebe zum Detail war auch bei der Erhöhung der Balkonbrüstungen gefragt: Denn es hieß, sich an die Gestaltung aus den 60er Jahren anzulehnen und damit die Liebe zum Detail zu beherzigen.