Essen. Mehrere hundert Drogenabhängige sind jetzt gegen Corona geimpft worden. Warum Süchtige besondere Angst vor dem Virus haben.

Mehrere hundert Drogenkranke haben sich bei der „Suchthilfe Direkt“ am Rand der Essener Innenstadt gegen Corona impfen lassen. Versorgt wurden Menschen in denkbar schwierigen Umständen, die eine Gesundheitsvorsorge kaum möglich machen.

10 Uhr am Freitagmorgen, Hoffnungsstraße, Westviertel. Männer und Frauen drängeln sich vor den Räumen der „Suchthilfe Direkt“, es riecht nach billigem Tabak, getrunken wird Flaschenbier aus Discountern, viele haben ihre Hunde dabei. Den meisten sind jahre- und jahrzehntelange Erfahrung mit Drogen und einem Leben auf der Straße ins Gesicht geschrieben. Rouven (48), ein großer, dünner Mann, trägt vor dem Gesicht eine erkennbar abgenutzte FFP2-Maske, er sagt: „Ich will endlich wieder Freiheiten haben, mein normales Leben führen.“ Er will wieder „Einkaufen ohne so ein Ding hier vor der Nase“, er zeigt auf seine Maske, „und dass mich keiner anmault, ich soll gefälligst Abstand halten.“

Jahrelang lebte er auf der Straße, sozusagen von „Hasch und Heroin“, und mittlerweile hat er eine eigene Wohnung, ist „auf Methadon“, also einer Ersatzdroge, die amtlich verabreicht wird.

„Es geht am Ende ums Überleben“

„Substitution“ nennt man sowas, in Essen werden 830 Drogenkranke gezählt, die an einem dieser Ersatzprogramme mitmachen, teilweise seit Jahrzehnten. Die Ersatzstoffe helfen, um den Teufelskreis aus Sucht, Kriminalität und Verwahrlosung zu durchbrechen. „Es geht am Ende ums Überleben“, sagt Frank Langer von der „Suchthilfe Direkt“, „es geht um Schadensminimierung.“ Die Verbreitung von HIV oder Hepatitis einzudämmen, zum Beispiel. Und jetzt eben auch Corona.

Über Wochen haben Langer und seine Mitarbeiter die Drogenabhängigen, die regelmäßig zur „Suchthilfe direkt“ kommen, über den Impftermin informiert; eigentlich wollte man die Kranken an diesem Tag in mehreren Schichten versorgen, damit das Gedrängel nicht so groß wird, aber: „Die meisten sind trotzdem direkt um zehn gekommen, als wir angefangen haben.“ Termine, Vereinbarungen, verbindliche Absprachen: sehr schwierig zu bewerkstelligen mit Leuten, die vor allem den nächsten Schuss oder die nächste Dosis im Kopf haben, die noch nicht mal ein Handy besitzen, weil sie es sofort verkaufen würden für Drogen.

„Es geht um Schadensbegrenzung“: Frank Langer von der „Suchthilfe Direkt“.
„Es geht um Schadensbegrenzung“: Frank Langer von der „Suchthilfe Direkt“. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Fünf Ärzte impfen an diesem Tag das Vakzin von „Johnson & Johnson“, denn es hat den Vorteil, dass nur eine Spritze reicht und nicht zwei erforderlich sind. „Die Suchthilfe Direkt“, sagt Langer, „empfindet eine Fürsorgepflicht für diese Menschen, die häufig keinen Hausarzt haben und ein Leben führen, das Abstandsregeln nicht kennt.“

Nur eine Impfung ist erforderlich

Und so sagt auch Barbara (51), die seit Jahren Ersatzstoffe konsumiert, um nicht wieder vollends abzugleiten in die Obdachlosigkeit: „Klar hab’ ich Angst vor Corona. Alle hier haben Angst vor Corona.“ Manche fürchten auch, sich während der Impfung anzustecken, und doch: Dass mehrere hundert Drogenkranke am Freitag an der Hoffnungsstraße warten, spricht dafür, dass die „Suchthilfe Direkt“ weitgehend erfolgreich gearbeitet hat. Barbara sagt: „Was soll ich zum Arzt gehen für eine Impfung, wenn ich das auch hier bekommen kann.“ Vor der Sucht, vor neuen Gefahren des Abrutschens ins Elend, vor dem Verlust von Wohnung und Würde kann freilich auch eine Corona-Schutzimpfung niemanden von denen bewahren, die sich hier und heute helfen lassen.